1. GEROLD TAGWERKER
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Reflexive Agorithmen / Algorhitmische Dérives
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Zur PoIysemie des Rasters
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IMPERMANENT GEOMETRY
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Crick in the Neck
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↓ BIBLIOGRAPHIE / BIBLIOGRAPHY

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Die Arbeiten von Gerold Tagwerker laufen Gefahr, von der Gegenwart eingeholt zu werden.
So in etwa könnte ein Befund lauten, der aus kulturtheoretischer Sicht versucht, die Gegenwart auf Basis künstlerischer Produktion zu verstehen. Nun ist es natürlich nicht unbedingt die Rolle der Kunst, zeitdiagnostische Modelle zum besseren Verständnis des Hier und Jetzt abzuliefern, sondern viel eher diese zu befragen oder bisweilen zu kritisieren. Aber nähert man sich den jüngsten Arbeitskomplexen von Gerold Tagwerker, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass man hier so etwas wie eben verlassene Bühnen einer Gegenwart betritt, denen die Subjekte abhandengekommen sind: Schauplätze, Tatorte, Symptomorte, scenes of a crime ...
Lampen flackern noch vor sich hin, gestartete strukturelle, skulpturale Prozesse werden an scheinbar kontingenten Punkten abgebrochen, Spiegel wurden zerschnitten oder gebrochen, sind dysfunktional oder reflektieren unscharf; mechanische Geräuschspuren, fragmentierte Sounds und Echos liegen noch in der Luft, sind aber gewissermaßen im Leerlauf eingefroren. Die skulpturalen Objekte im Raum erscheinen als verfremdete Echos, Spiegelungen der Architektur selbst, als deren selektiv ausgestellte Grundmatrix. Als dekonstruiertes Ensemble räumlicher Elemente, die im weitesten Sinn eine Reflexion des formalen und infrastrukturellen Vokabulars der Moderne darstellen, einer durch die Architektur gelesenen Moderne, die als aufgebrochener Code verräumlicht erscheint.
Diese Motive des Brüchigwerdens, der Doppelbödigkeit und Ambivalenz, des Erlahmens der Fortschrittskultur der Moderne und des rationalistischen Weltbildes (sowie Stadtbildes) sind schon seit langem Material der Arbeit von Gerold Tagwerker, aber erst in jüngster Zeit haftet diesen Bruchstellen eine spezifische Dringlichkeit an. Man könnte behaupten, dass Tagwerker Modelle einer Gegenwart entwirft, die als Ausdruck einer algorithmischen Kultur zu verstehen ist. Als Kultur, die von Programmierungen der Optimierung, Selbstregulierung, der neoliberalen Flexibilisierung durchzogen ist, die in der Gouvernementalität der Gegenwart ganz wesentlich auf Prinzipien der Kybernetik aufbaut. Im Namen ultimativer Demokratisierung, Partizipation und Kommunikation werden derzeit speziell im Kontext sozialer Medien Konzentrationen von Wissen produziert, die ihresgleichen suchen. Maurizio Lazzarato: „Tatsächlich wird gegenwärtig mit Hilfe dieser Instrumente - ganz im Gegensatz zum ‚libertären‘ Diskurs - eine in der Geschichte beispiellose Zentralisierung und Hierarchisierung durchgesetzt.“ [1] Gigantische Datenbanken sammeln Spuren unserer Bewegungen in den (sozialen) Netzwerken und gleichen sie auf konsumentenoptimierte Zielvorstellungen hin ab. Der Algorithmus steuert dabei Prozesse, die nicht mehr wie der „Markt“ auf einen „Prozess ohne Subjekt“ hinauslaufen, sondern vielmehr auf die Produktion eines Subjekts, in dem modulierbare Konsumverhaltensweisen aktiviert werden sollen. Hier wird allerdings das Individuum nicht mehr - wie noch bei Foucault im Disziplinarregime [2] - als Einheit behandelt, „sondern eher als ‚Dividuum‘ (Gilles Deleuze), dessen Subjektivität immer wieder neu durch eine prekäre und zeitlich begrenzte Zusammensetzung aus einer Vielfalt an Bedürfnissen, Beziehungen und Affekten konstituiert wird, dessen Entwicklung in Echtzeit beobachtet werden muss und dem entsprechend angepasste Dienstleistungen und Produkte zur Verfügung gestellt werden müssen“[3].
Gerold Tagwerkers Arbeiten können in diesem Zusammenhang als Modelle dieser prekären und temporären Modulationen gesehen werden. Sie zeigen mögliche Prozessläufe, die in ihrem Scheitern, in ihrem Abbruch, in ihrem „Hängenbleiben“ so etwas wie eine letzte Option des Poetischen einfordern. Das Erzeugen von Brüchen und Unschärfen in den künstlerischen Manövern der Übersetzung - von einem Medium ins andere, von der Architektur in die Skulptur, von der Alltäglichkeit der Nutzung in den White Cube - eröffnet einen Möglichkeitsraum der Kritik. Hier manifestiert sich die Hoffnung, dass durch spezifische Anordnungen Bruchstellen, Fugen, Zwischenräume produziert werden könnten, in denen zeitgenössische Subjektivität reflektiert und noch befragt werden kann.
Diese Anordnungen repräsentieren auch das Aufkommen eines völlig neuen gesellschaftlichen Phänomens, das Lazzarato als „verschuldetes Subjekt“ beschreibt. Ein Subjekt, das innerhalb der algorithmisch angepassten Dienstleistungen und Produkte wählt, das aber jede Idee von Autonomie verloren hat. Ein Subjekt, das nicht mehr als autonomes Individuum mit einer geschlossenen Identität gedacht werden kann, sondern nur noch als „Dividuum“, als Effekt seiner Zerteilung. [4] Gerald Raunig beschreibt den Übergang zu den Kontrollgesellschaften mit Bezugnahme auf Gilles Deleuzes Diktum „Die Individuen sind dividuell geworden“ [5] folgendermaßen: „Disziplinargesellschaften sind geprägt durch einschließende Formen mit relativ klaren Grenzen, Kontrollgesellschaften dagegen durch sich ständig verformende Formen.“ [6]
Das Wirkungsprinzip der damit verknüpften algorithmischen Kultur der Gegenwart ist, dass sie ihre ideologische Fundierung auf beeindruckende Art und Weise verbirgt und verschleiert. Der Algorithmus sorgt dafür, dass jede (Kauf-)Entscheidung, jede neue „Verschuldung“ den Anschein einer individuellen, autonomen Handlung trägt. Die innerhalb unserer neoliberalen Kulturen schon längst internalisierte Aufforderung zu permanenter Selbstoptimierung und Flexibilisierung erscheint uns zwar immer noch als Befreiung, jedoch um den Preis, permanent neue Informationen zur Perfektionierung des Algorithmus zu liefern.
Den Arbeiten von Gerold Tagwerker gelingt es auf beinahe unheimliche Art und Weise, diese strukturellen Dispositive in „Szenenbildern“, in quasi modellhaften Übersetzungen zu verräumlichen. Sie verhandeln damit also nicht nur das Scheitern der Hoffnungen der Moderne auf ein produktives, integratives Zusammenwirken von Ästhetik und Politik, von Form und Funktion, sie sind auch als spezifische Interventionen in den Räumen der Sichtbarkeit zu lesen. Die Form des Zeigens selbst - das Ausstellen - stellt hier nämlich eine zentrale Ebene des Intervenierens in den Dispositiven der Sichtbarkeit dar.
Wie diese Interventionen situationsspezifisch ihre Wirkung entfalten können, zeigt etwa der Parcours von ausgewählten Arbeiten der jüngeren Vergangenheit in den Räumen des Kunstmuseums Appenzell. In dem von Annette Gigon und Mike Guyer gestalteten Museum hatte Gerold Tagwerker 2015 seine Arbeiten in den zehn Ausstellungsräumen in einer Art und Weise angeordnet, die einen höchst spezifischen Dialog zwischen den künstlerischen Werken und der architektonischen Gestaltung in Gang setzten. In einem Text zu ihrem Konzept beschrieben die Architekten ihren Entwurf der Ausstellungräume folgendermaßen: „Die Ausstellungsfläche gliedert sich in zehn Räume von jeweils 30-50 Quadratmetern. Die verschiedenen Raumgrössen entstehen einerseits durch eine asymmetrisch angeordnete Mittelwand, andererseits durch die sukzessive Verringerung der Raumtiefen von Süden nach Norden. Eine wechselweise mäandrierende oder geradlinige Wegführung durch das Museum ergibt sich durch das Versetzen oder das Hintereinanderschalten der Türöffnungen.“ [7]
Gerold Tagwerkers Arbeiten entfalteten in diesem Setting ein Narrativ, das nicht nur simpel aus einer Abfolge einzelner Arbeiten und Installationen bestand, sondern darüber hinaus einen verräumlichten Diskurs über die Architektur und das Ausstellen an sich in Gang setzte. Einen Diskurs, der bei einem höchst paradigmatischen Symptom unserer gegenwärtigen Kultur ansetzt - bei der Dimension des Urbanen und seiner es begleitenden Architekturen. Jede der gezeigten Arbeiten reflektierte, transformierte, modulierte zentrale Ereignisse der urbanistischen Moderne und Nachmoderne: vom Spiegel als medialisierte Oberfläche und Screen (MIRROR_X, 2010; grid.portrait, 2007; target.mirror, 2010; broken.mirror, 2015) über ephemere architektonische bzw. urbane Elemente wie Plakatständer oder Stellwände (mirror.paravents, 2012/2014), den konstruktivistischen Baustein potentieller neuer Kollektive (alexander#1_steel, 2010; untitled.german.ornament, 2008), künstliches Licht als ambivalente Steuerungseinheit des urbanen Lebensrhythmus (11x58W/133.flash, 2002; 9x58W/154.flash, 2004; blur.grid, 2008), die infrastrukturellen Kanäle und Backstages (tube.flash, 2007; EXIT_door, 2010) bis hin zu den Fragmenten urbaner Dérives in Form von Structural-Glazing-Rasterfassaden oder ikonischen Konstruktionen der Globalarchitekturproduktion (urban studies - Chicago#7, 2001/2010; johnson.twins, 2009) - all diese Referenzmomente (und man könnte hier noch viele mehr anführen) berühren jene Motive, entlang derer die fundamentalsten Eruptionen im Übergang zur Moderne und darüber hinaus in die Nachmoderne stattfanden. Allesamt urbane Symptome, die aufs Engste verbunden sind mit sich radikal verändernden Dispositiven der Sichtbarkeit, Symptome, an denen die entscheidenden Verschiebungen im Übergang von der Disziplinargesellschaft zur Kontrollgesellschaft stattfanden. [8]
Diese Untersuchung der Bruchstellen in den ästhetischen Formationen der Moderne sowie die Auseinandersetzung mit ihren Formationen der Sichtbarkeit durchziehen die Arbeiten von Gerold Tagwerker. Es sind Arbeiten, die selbst als Interventionen in den Räumen der Sichtbarkeit zu lesen sind - in dem Sinn, dass sie normalisierte und eingeübte Wahrnehmungsmuster kreuzen, unterbrechen und die darin angelegten strukturellen Abläufe sowie Relationen erkennbar machen. Die Ausstellung als spezifische Form des Sichtbarmachens, als Akt des Anordnens und des Displays bildet eine weitere, zentrale Ebene des Intervenierens. Auf diese Weise gelingt es Gerold Tagwerker nicht nur, einen quasiurbanen Wahrnehmungsmodus - den des Dérives, des situationistischen Streunens - zu aktivieren, sondern auch, die vorhandene Architektur in ihren algorithmischen Dimensionen sichtbar zu machen. Die permanente Modulation der Räume, die als subtil ironische Referenzierung sich endlos wiederholender White-Cube-Museumsräume gelesen werden könnte, macht in der Bespielung von Tagwerker erst lesbar, was sie zu einem entscheidenden Modell der heutigen Logik des Dividualen macht: die Serie als Ort von Wiederholung und Differenz.
Dividuale Räume wurden in der urbanistischen Literatur als symptomatische Orte diskutiert, die durch eine doppelte Form der Teilung geprägt sind: Sie werden nur für einen kurzen Zeitraum konsumiert, wodurch sie zur Ware für anonyme Subjekte werden, deren Bedürfnisse wiederum als „samples and data“ [9] algorithmisch verfolgt werden. Dividuale Räume sind Orte der Zugangsökonomie („economy of access“ [10]), die zu den entscheidenden Orten einer Gegenwart werden, in denen nicht mehr der Besitz, der „Grund“ entscheidend ist, sondern die Möglichkeit, temporären Zugang zu Räumen zu bekommen. [11]
Die algorithmische Qualität von Orten, die auf permanenter Optimierung des (Raum-)Angebots durch programmierte Datensamples aufbaut, spiegelt sich in den Anordnungen der Arbeiten von Gerold Tagwerker wieder. Aber erst in der Aktivierung des Resonanzkörpers einer Architektur wie der von Gigon/Guyer in Appenzell wird eine spezielle Problematik der Gegenwart sichtbar, die sich in techno-utopischen, aber politisch pragmatischen Konzepten wie Smart Cities oder Smart Grids manifestiert. Die algorithmische Drift, das dividuale Dérive, das ein Setting wie jenes in Appenzell ermöglicht, erscheint hier als eine eminent wichtige Versuchsanordnung, um Phänomene in materialisierter, verräumlichter Form zu visualisieren, mithin verhandelbar zu machen, die ansonsten strukturell in den algorithmischen Digitalräumen jeder Form von Sichtbarkeit und Sagbarkeit entzogen bleiben.
Allerdings: War das situationistische Dérive noch als Figur der Entgrenzung und Befreiung intendiert, so hat sich dessen emanzipatorisches Potential mittlerweile ins Gegenteil verkehrt - jede scheinbar widerständige oder subversive Form der Bewegung durch städtische Räume wurde inzwischen bis zur Unkenntlichkeit kommerzialisiert, bis hin zu Parkour oder Skateboarding. Was in der Nachkriegszeit noch als utopisches Potential am Horizont zukünftiger Gesellschaften erschien, ist heute eine Marketingstrategie der „Creative City“ geworden. Gerold Tagwerkers Parcours hingegen entzieht sich der Spektakularität durch die Absenz des Ereignisses an sich, es bleiben bewusst nur die Spuren und Überreste urbaner Bewegungen, das ist eine eminent wichtige Konsequenz der ästhetischen Entscheidungen. Gleichzeitig wird in den Arbeiten die Unmöglichkeit einer autonomen Identität sichtbar. Jede Schließung, jede finale Identität wird hier von vornherein als Chimäre, als Fiktion konzipiert. Hier liegt auch das vielleicht entscheidende Moment der Arbeiten von Tagwerker: In einer sozusagen am Stand rotierenden Gegenwart, der die Dimension der Geschichte, der Autonomie, der Rationalität und der Evolution abhandengekommen ist, ist die Temporalität und die Flexibilität die einzige Konstante. Dass diese wiederum von algorithmischen Programmen durchzogen ist, lässt die Arbeiten von Gerold Tagwerker in einem ganz speziellen Licht erscheinen. Gerade die Absenz der Handlung und des Ereignisses in den Settings von Tagwerker verweist auch auf die abhandengekommene Dimension einer Öffentlichkeit, die so etwas wie die Gesellschaft repräsentieren könnte. In der algorithmischen Kultur unserer dividualen Subjektivität ist alles, was vormals ein öffentliches Argument war, hochgradig personalisiert und damit quasi privatisiert. Es bleibt lediglich noch die Option, dieser Vereinzelung im Sinn einer Dividualisierung die Erkenntnis abzugewinnen, dass es von eminenter Bedeutung ist, soweit wie möglich deren Spielregeln offenzulegen, den Quellcode verhandelbar zu machen. Und damit Versuchsanordnungen herzustellen, die eine Gegenwart repräsentieren, die aus Architekturen besteht, deren Funktion es zusehends ist, das Temporäre, die zeitbasierte Aneignung und eine dividuale Zugangsökonomie zu beherbergen. Insofern sind auch Museen zunehmend paradigmatische dividuale Räume, die immer mehr nur temporäre Argumente in Form von Projekten erlauben. Gerold Tagwerkers Arbeiten üben in diesem Zusammenhang die Funktion aus, diese Zumutung heutiger Subjektivität zu spiegeln und damit als ideologische Struktur verhandelbar zu machen.

Christian Teckert - Reflexive Agorithmen / Algorhitmische Dérives,
in: Gerold Tagwerker_zeroXVII, SCHLEBRÜGGE EDITOR, Wien 2018

1 Maurizio Lazzarato: Über die kalifornische Utopie/Ideologie, in: Diedrich Diederichsen und Anselm Franke: The Whole Earth - Kalifornien und das Verschwinden des Außen, Sternberg Press, Berlin 2013, S. 166ff.
2 Vgl. unter anderem Michel Foucault: Überwachen und Strafen - Die Geburt des Gefängnisses, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1994.
3 Maurizio Lazzarato: Über die kalifornische Utopie/Ideologie, a.a.O., S. 168.
4 Gerald Raunig: Dividuum - Maschinischer Kapitalismus und molekulare Revolution, Band 1, transversal texts, Wien 2015.
5 Gilles Deleuze: Postskriptum über die Kontrollgesellschaften, in: Unterhandlungen 1972-1990, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1993, S. 258.
6 Gerald Raunig: Das dividuelle Begehren, 2010, URL: http://clas- sic.skor.nl/id/4826.html, Stand: Mai 2016.
7 Dokument des Architekturbüros Gigon/Guyer, online abgerufen am 5.11.2017 über: https://de.scribd.com/document/186742177/Gigon-Guyer-Dok-D-21MB
8 Gilles Deleuze: Postskriptum über die Kontrollgesellschaften, a.a.O., S. 257.
9 Jorge Almazán Caballero and Yoshiharu Tsukamoto: Tokyo Public Space Networks at the Intersection of the Commercial and the Domestic Realms - Study on Dividual Space, in: JAABE vol.5, no.2, November 2006, S. 302;
Zugriff am 5.11.2017 unter: http://almazan.sd.keio.ac.jp/JAABE_I.pdf
10 Siehe Jeremy Rifkin: Access - Das Verschwinden des Eigentums, Campus Verlag, Frankfurt am Main 2000.
11 Ein prototypischer dividualer Raum ist etwa das japanische Manga Kissa, ein Internetcafé, das für viele prekäre urbane Existenzen zum (Über-)Lebensraum wurde: ein Ort, an dem Wohnen und Arbeiten zusammenfallen und die Kategorien von Privatheit und Öffentlichkeit kollabieren.


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The works of Gerold Tagwerker run the danger of being overtaken by the present.
At least, that is the conclusion one could come to if, from the perspective of cultural theory, one were trying to understand the present on the basis of cultural production. Of course, it is not necessarily the role of art to provide diagnostic models of the present in order to enhance our understanding of here and now, but instead to question or even critique such models. But in taking a close look at the works of Gerold Tagwerker, one cannot help having the impression of having entered the empty arenas of the present, ones that have been abandoned by their protagonists: scenarios, symptomatic places, scenes of a crime ...
Lamps flicker in isolation; sculptural processes set in motion have been interrupted at seemingly critical junction points; mirrors have been scratched or broken, or else they are dysfunctional, reflecting only a blur. Traces of mechanical noises, fragmented sounds and echoes hang in the air, somehow frozen in an idle state. Even the sculptural objects in the space seem like estranged echoes, reflections of the architecture, or selected elements of its formal matrix placed on view. Or a deconstructed ensemble of three-dimensional elements, which in the largest sense reflect the formal and infrastructural vocabulary of modernism. A modernism viewed through the lens of architecture-a ruptured code that assumes three-dimensional form.
These motifs of fragmentation, double meaning, and ambivalence, the incapacitation of modernity’s culture of progress and rationalist worldview (and perspective on the urban), have long been the materials of the work of Gerold Tagwerker, but only recently have these points of rupture taken on a specific quality of urgency. One could claim that Tagwerker constructs models of the present that are expressions of an algorithmically based culture-a culture permeated by programmed optimization, self-regulation, and neoliberal flexibilization. It is a culture that, in the context of contemporary governmentality, is largely based on the principles of cybernetics. In the name of ultimate democratization, participation, and communication, a concentration of knowledge is being produced in social media, which has been incomparable until now. As Maurizio Lazzarato writes: “In fact, this deployment or dispositif-contrary to ‘libertarian’ discourse-is in the process of creating a form of centralization and hierarchy that is unprecedented in history.”[1] Gigantic databases collect the traces of our movements within these (social) networks and match them with consumer-optimized goals. The algorithm is what thereby steers processes that no longer result in a “process without subject”-as with the “market”-but are instead geared towards the production of the subject, in which consumer patterns that can be modeled are activated.
However, in this context the individual is no longer treated as a unit, as was still the case in Foucault’s disciplinary regime [2], “but as a ‘dividual’ (Deleuze), whose subjectivity is continuously reconstituted from a precarious and temporal multiplicity of needs, relationships, and emotions that require both monitoring in real time as well as being fed with suitably adapted products and services.” [3]
In this context, Gerold Tagwerker’s works can be seen as models of these precarious and temporary modulations. They reveal potential paths of contingent process, which through their failure, termination, and “snags” call on something like a final option of the poetic. The creating of rupture and lack of focus through the artistic process of translation-from one medium to another, from architecture to sculpture, from everyday use to the “white cube”-opens up a potential space for critique. Herein is manifested a hope that specific arrangements are capable of producing fissures, cracks, and intermediary spaces, in which contemporary subjectivity can be reflected and questioned. These arrangements also represent the emergence of an utterly new breed of social phenomena, which Lazzarato describes as the “indebted subject.” A subject that chooses between different algorithmically adapted services and products but who has lost any sense of autonomy. A subject that is no longer thought of as an autonomous individual with a discrete identity, but as a “dividuum,” as an effect of its own fragmentation. [4] Gerald Raunig describes the transition to societies of control in terms of Gilles Deleuze’s dictum “Individuals have become ‘dividuals’” [5]as follows: “Disciplinary societies are characterized by inclusive forms with relatively clear boundaries; societies of control, by contrast, exhibit forms that are constantly being reshaped.” [6]
The operating principle of the algorithmic culture of the present associated with this veils and hides its ideological foundation in an impressive manner. The algorithm ensures that every (purchase) decision, every new “indebtedness” has the appearance of an individual, autonomous act. The demand for permanent self-optimization and flexibilization, which we have long internalized as part of our neoliberal cultures, still appears to us as liberating, but the price we pay for this is permanently having to provide new information in order to perfect the algorithm.
The works of Gerold Tagwerker, however, manage in an almost uncanny way to spatialize these structural dispositifs in “scenarios,” in quasi model-like translations. They thereby not only address the failed hopes of modernity for a productive and integrative interplay of aesthetics and politics, of form and function, but they are also to be interpreted as specific interventions in the spaces of the visible. The form of showing-exhibiting-is itself a central aspect of intervening in the dispositifs of visibility.
How these interventions are able to take effect in the context of a given situation is demonstrated by a walk through recent selected works on view in the exhibition spaces of Kunstmuseum Appenzell. In the museum, designed by Annette Gigon and Mike Guyer, Gerold Tagwerker exhibited his works in the ten exhibition rooms in 2015 in such a way that he sparked a highly specific dialogue between the works of art and the architectural design of the museum. In a text on their design of the museum, the architects describe their approach to the exhibition spaces as follows: “The exhibition area is divided into ten rooms of thirty to fifty square meters each. The various room sizes are created by a central, asymmetrical wall as well as a gradual reduction in spatial depths from south to north. The route through the museum alternates between a meandering or linear path depending on whether the door openings are offset or aligned.” [7]
In this setting, Gerold Tagwerker’s works produced a narrative that not only simply consisted of a sequence of individual works and installations, but also set in motion a spatialized discourse on the architecture and the exhibition itself. A discourse that begins with a highly paradigmatic symptom of our present culture: with the dimension of the urban and its associated architectures. Each of the presented works reflected, transformed, and modulated central events of urban modernism and postmodernism: from the mirror as medialized surface and screen (MIRROR_X, 2010; grid.portrait, 2007; target.mirror, 2010; broken.mirror, 2015), to ephemeral architectural and urban elements such as poster stands or partitions (mirror.paravents, 2012-14), to the constructivist building block of potential new collectives (alexander#1_steel, 2010; untitled.german.ornament, 2008), to artificial light as an ambivalent control unit of the rhythm of urban life (11x58W/133.flash, 2002; 9x58W/154.flash, 2004; blur.grid, 2008), to infrastructural channels and backstages (tube.flash, 2007; EXIT_door, 2010), to the fragments of urban dérives in the form of gridded, structural-glazing facades or iconic constructions of global architecture production (urban. studies-Chicago#7, 2001-10; johnson.twins, 2009). All these referential instances (and one could cite many more here) touch on the motifs, alongside which the most fundamental eruptions occurred in the transition to modernity and beyond into postmodernity. All these are urban symptoms intimately tied to radically changing dispositifs of visibility, symptoms where the pivotal shifts took place in the transition from disciplinary society to control society. [8]
This investigation into the ruptures in modernism’s aesthetic formations and the examination of their formations of visibility permeate the works of Gerold Tagwerker. The works themselves can be read as interventions in the spaces of visibility-in terms of how they intersect and interrupt normalized and practiced patterns of perception, and make visible the structural processes and relations contained therein. The exhibition as a specific form of making visible, as the act of ordering and display, forms an additional, central level of intervention. Thus, Gerold Tagwerker not only succeeds in activating a quasi-urban mode of perception-that of the dérive, of the Situationist drifting-but also in making visible the algorithmic dimensions of the existing architecture. The permanent modulation of the spaces, which could be read as a subtly ironic referencing of endlessly repeating white-cube museum spaces, only first becomes legible in Tagwerker’s arrangement, which makes them a crucial model for today’s logic of the dividual: the series as the location of repetition and difference.
Dividual spaces have been discussed in urbanist literature as symptomatic locations characterized by a double form of division: they are only consumed for a short period of time, making them commodities for anonymous subjects whose needs are, in turn, tracked algorithmically as “samples and data.” [9] Dividual spaces are locations of the Economy of Access [10], which become the pivotal locations of a present where property, the “land,” is no longer crucial, but the possibility of temporary access to space is. [11]
The algorithmic quality of locations, which is based on the permanent optimizing of (locational) offerings by programmed data samples, is reflected in the arrangements of Gerold Tagwerker’s works. But only in activating the resonating body of an architecture such as that of Gigon / Guyer in Appenzell does a specific problem of the present become apparent, which is manifested in techno-utopian, albeit politically pragmatic concepts such as smart cities or smart grids. The algorithmic drift, the dividual dérive, which makes a setting such as that in Appenzell possible, appears here as an eminently important experimental arrangement for visualizing phenomena in materialized, spatialized form-thus making them negotiable-, which otherwise remain structurally deprived of visibility and expressibility in all forms of algorithmic digital spaces.
However, if the Situationist dérive was still intended as a figure of delimitation and liberation, its emancipatory potential has meanwhile turned into its opposite-every seemingly resistant or subversive form of movement through urban spaces has now been commercialized beyond recognition, including even parkour or skateboarding. What appeared in the post-war era as utopian potential on the horizon of future societies, has now become a marketing strategy for the “creative city.” In contrast, Gerold Tagwerker’s exhibition layout evades spectacularity by eliminating the event itself, only the traces and remnants of urban movements consciously remain-this is an eminently important consequence of the aesthetic decisions. At the same time, the impossibility of an autonomous identity becomes obvious in the works. Every discontinuation, every final identity is conceived from the outset here as a chimera, as fiction. Here lies perhaps the defining aspect of Tagwerker’s works: in a present that spins in place, so to speak, which has jettisoned the dimension of history, autonomy, rationality, and evolution, the only constants are temporality and flexibility. That this is, in turn, permeated by algorithmic programs casts the work of Gerold Tagwerker in a very special light. It is precisely the absence of the action and the event in Tagwerker’s settings that also point to the lost dimension of a public that might represent something like society. In the algorithmic culture of our dividual subjectivity, everything that was once a public argument is now highly personalized and thus quasi privatized. The only remaining option is to extract from this isolation, i.e. dividualization, the awareness of how critical it is to explicate as much as possible the rules of the game, to make the source code negotiable. And thus to create experimental arrangements that represent a present made up of architectures whose function is increasingly to accommodate the temporary, the time-based appropriation, and a dividual economy of access. In this respect, museums are also increasingly becoming paradigmatic, dividual spaces that increasingly only allow for temporary arguments in the form of projects. In this context, Gerold Tagwerker’s work exercises the function of mirroring this imposition of present-day subjectivity and thus making it negotiable as an ideological structure.

Christian Teckert - Reflexive Agorithmen / Algorhitmische Dérives,
in: Gerold Tagwerker_zeroXVII, SCHLEBRÜGGE EDITOR, Wien 2018

1 Maurizio Lazzarato, “On California Utopia/Ideology,” in The Whole Earth. California and the Disappearance of the Outside, eds. Diedrich Diederichsen, Anselm Franke (Berlin: Sternberg Press, 2013), 168.
2 See Michel Foucault, Discipline and Punish-The Birth of the Prison (New York: Vintage, 1977).
3 Maurizio Lazzarato, “On California Utopia/Ideology,” 168.
4 Gerald Raunig, Dividuum: Machinic Capitalism and Molecular Revolution, vol. 1, trans. by Aileen Derieg (Los Angeles: Semiotext(e), 2016).
5 Gilles Deleuze, “Societies of Control,” October, no. 59 (1992): 6.
6 Gerald Raunig, Das dividuelle Begehren, 2010, accessed May 2016, http://clas-sic.skor.nl/id/4826.html.
7 Document from the architectural office of Gigon/Guyer, accessed November 5, 2017, https://de.scribd.com/document/186742177/Gigon-Guyer-Dok-D-21MB.
8 Deleuze: “Societies of Control,” 5.
9 Jorge Almazán Caballero and Yoshiharu Tsukamoto, “Tokyo Public Space Networks at the Intersection of the Commercial and the Domestic Realms-Study on Dividual Space,” JAABE, vol.5, no.2 (November 2006): 302, accessed November 5, 2017, http://almazan.sd.keio.ac.jp/JAABE_I.pdf 2017.
10 See Jeremy Rifkin, The Age of Access-The New Culture of Hypercapitalism, Where All of Life Is a Paid-for Experience (Los Angeles: Tarcher, 2000).
11 A prototypical dividual space is, for example, the Japanese Manga Kissa, an Internet café that has become for many a space for living (and surviving): a place where living and working coincide and categories of privacy and publicity collapse.


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Rasterung
Es gibt viele Möglichkeiten, sich einem Kunstwerk anzunähern - räumlich und geistig:
Wenn ich die Werke von Tagwerker anschauend befrage, so erscheint mir der produktive Zweifel eine der Voraussetzungen der Arbeiten zu sein: Der Zweifel
Das ist die / eine Betrachtung vom Standpunkt des / eines Betrachters aus.
Die meisten Texte zum plastischen und fotografischen Werk des Künstlers Tagwerker thematisieren den augenfälligsten Moment der Arbeiten: den Raster. Und die Essays entwickeln - in der Menge - dabei selbst ein argumentatives Muster, das ans diskursive, eher apodiktische Ornament, an ein rhetorisches Mäandern grenzt: eine auch kunstbetriebliche Sprachschönheit, die gelegentlich das "Unbehagen angesichts der Kultur" (der Moderne beziehungsweise des "Modernismus"), eben den Zweifel, bemäntelt.
Tagwerkers Arbeiten sind gerade nicht ausschliesslich auf den Kontext Kunst oder Architektur oder Ästhetik bezogen; sie befragen nicht ausschliesslich formale Verfahren der (modernen) Kunst oder Wahrnehmungsmuster, die zur angemessenen Betrachtung von Kunstwerken gebildet wurden - sie stellen, viel grundsätzlicher, unseren Wirklichkeitsraum, die Räume, in denen wir uns bewegen, in Frage.
Der Raster, der Begriff vom Raster, ist formal, inhaltlich und zeitgeschichtlich viel zu umfassend, als dass er lediglich als ästhetisches, kunstinternes Phänomen dargestellt oder diskutiert werden könnte. Andererseits ist der Raster als Kunstmotiv oder als Anlass kunstkritischer oder semantischer Reflektionen ungefähr so bedeutend oder unbedeutend wie ein Baum oder ein Hase. Letzterer ist heute nur nicht mehr so allgegenwärtig, nicht mehr selbstverständlich.
Indem Tagwerker in vielen seiner Werke die Gestaltpotenz modularer Rastersysteme (engl.: grids) verwendet, anwendet und zeigt, verweist er - neben der Herstellung einer Form - auf ebendiese Allgegenwart und die angenommene, allerdings selten akzeptierte Selbstverständlichkeit.
Eine der grundsätzlichen Fragen, die in den Arbeiten Tagwerkes aufleuchten, wäre wohl: Beherrscht man die Raster, indem man (der Künstler, Sie und ich) sie nutzt, benutzt, gebraucht? Gibt es im jeweiligen Benutzerraum - von einem gewachsenen Landschaftsraster über Raster-Artefakte im urbanen oder kulturellen Zusammenhang bis hin zu den virtuellen Rasterwelten - im Umgang mit diesen Ordnungs- und Konstruktionsstrukturen tatsächlich den Unterschied zwischen Nutzen und Benutzt-Werden?
Der Wert dieser Frage wird deutlich, wenn das Wort "Raster" durch den zeitgemässen Begriff "Algorithmus" ersetzt wird. Damit kämen die binären Voraussetzungen einer Weltdarstellung und Wirklichkeitsgestaltung ins Spiel, eine besondere Form der Nullsumme, vielleicht auch eine Metapher für die ästhetische Moderne. Der (oder auch das) Raster ist ein Filter, ein Sieb, ein Netz - das vieles durchlässt, vieles auch nicht.
In diesem Sinne positioniert Gerold Tagwerker seine Arbeiten zwischen O und 1.

Membran
Zwischen Affirmation und Negation liegt was? Eine Assoziation.
Im Film Orphée (1950) von Jean Cocteau fungiert als Schlüsselszene, als immer wiederkehrendes Motiv, ein Bild: "... der Gang des Dichters durch den Spiegel: Bezwingend schön, aber auch sehr beunruhigend wirkt, wie Jean Marais als Orphée sein Gesicht ans Glas schmiegt und seine Hände durch das Material in einen anderen Seins-Raum hinüberfliessen". In der Realität wurden die behandschuhten (!) Hände in eine mit Quecksilber gefüllte Wanne getaucht - ohne den Körperschutz hätte Marais tatsächlich den Zustand zwischen Leben und Tod gewechselt.
Die "Türen" von Tagwerker bestimmen, ganz ohne surrealistische Spielerei, einen ähnlichen Moment: real, aber kaum wirklich- und wenn, dann nur mit gehöriger Frustration - benutzbar; Türen als Verweis auf das Eingeschlossen-Sein, auf die Endlichkeit aller, auch der imaginativen Möglichkeiten.
Im Kontext eines Museums, dessen Architektur spielerisch und funktional das Motiv "Raum-Öffnungen" oder "Raum-Übergänge" thematisiert, werden die "Türen" Tagwerkers zu Elementen, die - neben anderem - das Hermetische, die ästhetische Selbstbezüglichkeit moderner Architektur greifbar werden lassen. Wobei jedes Bauwerk jeder Epoche, das nicht nur da sein, nicht nur Wände und Dach mit Löchern sein will, selbstreferentiell ist, oder?
Auf jeden Fall bringt Tagwerker in die bestehende Architektur des Kunstmuseums Appenzell mit den Türen - aber auch anderen Arbeiten - eine "Seltsame Schleife" ein, einen "strange loop", der den Ausgangspunkt, eben das funktionierende Museum, die Architektur an sich, in einen Widerspruch zu sich selbst setzt. Das Paradoxon, dass es in einem Gebäude Türen gibt, die sich kaum je öffnen werden, lässt sich nicht lösen, nur ertragen: ein Eulenspiegel, wer das auf gesellschaftliche Strukturen übertragen wollte.
Die Membran zwischen Innen und Aussen, in diesem Fall die Tür, steht für eine potentielle Offenheit oder Durchlässigkeit. Allerdings zeigt Tagwerker mit einer der Türen vielschichtig, dass Ausgänge vielleicht nur wieder nach Innen führen. Exit steht auf dem Spiegel im oberen Feld einer Tür. Wir schauen scheinbar durch die Tür auf eine andere Seite, die auch existentiell gedeutet werden kann, erkennen aber vornehmlich im oberen Querrechteck unser quecksilbriges Eigenbild.
Transparenz und Durchlässigkeit, schöne Worte des gesellschaftlichen Diskurses, werden in solchen Arbeiten - mithin auch den Spiegelarbeiten, die in der Ausstellung zu sehen sind - zu Verweisen. "Open doors" funktioniert bloss, wenn die eigene Linse gereinigt, justiert wird. Ohne Selbstwahrnehmung, ohne Selbstbild führen die Türen von einer Leerstelle zur anderen.
Vielleicht ist dies eine Aussage der wohl narrativsten und zugleich rätselhaftesten Arbeit der Ausstellung: broken mirror. In der Leerstelle des "Filmstills" wäre der Täter, die Protagonistin zu sehen - jene Person, die einen Stein geworfen hat, einen Schuss abgefeuert hat - die vielleicht aber auch in den Spiegel geschmettert wurde und nun unter dem Spiegel am Boden liegt? Wäre, könnte, auf jeden Fall ist im Spiegel niemand mehr zu sehen; die Leerstelle befindet sich da, wo wir, die Betrachter, uns sehen würden, wenn der Spiegel noch ganz wäre, wenn wir Teil des Film noir wären, wenn das Ganze nicht ein Objekt wäre, das einen Filmmoment aus Fritz Langs The Blue Gardenia in den Museumsraum transferiert. Wir sind im Bild und doch wieder nicht - so wie Schrödingers Katze in der Box lebt, oder auch nicht. Aber vor allem sind wir irritiert, da eine perfekte Bild-Fläche mutwillig zerstört wurde - und wir im ersten Augenblick nicht wissen, ob das ein Schaden, eine Beschädigung ist, die gemeldet werden sollte. Ähnlich wie es wohl jenen Betrachtern erging, die in den 1950er Jahren zum ersten Mal die Concetti spaziale, die Tagli von Lucio Fontana erblickten.
Beide, Tagwerker und Fontana, begehen aber keinen Akt der Aggression, sondern öffnen imaginäre Räume: Fontana den Blick in einen nicht näher definierten Kosmos; Tagwerker jenen auf die Interaktion zwischen Materialität und Semantik, denn die Leerstelle in broken.mirror ist zugleich bemaltes Holz und Sinnbild des Nichts beziehungsweise der Grenzen der Erkenntnis.
Betrachtet man eine Regenpfütze, so sieht man darin entweder "Wasser auf dem Boden" oder sich selbst und den Himmel; man könnte auch wie der amerikanische Schriftsteller Kurt Vonnegut behaupten, dass man für eine Sekunde ein "Leck in der Welt", eben ein "Wenn" bemerkt.

Funktion
Die Arbeiten Gerold Tagwerkers sind ambivalent, um nicht das Modewort "hybrid" zu verwenden. Ich könnte auch behaupten, dass sie eine sich beständig ändernde Abfolge von Eindeutigkeiten sind - jeweilige Entitäten, deren Wesen durchaus widersprüchlich sind, kaum je festlegbare Identität erzeugen.
Sie - die Werke Tagwerkers - funktionieren als Verweise (auf Realität, auf Kunstgeschichte etc.); sie gelingen als auch handwerklich erarbeitete ästhetische Dinge; sie transferieren und transformieren Bedeutungen und Deutungszusammenhänge. Und sie stellen allgemeine beziehungsweise verinnerlichte Wahrnehmungsstrategien in Frage - das heisst, der Betrachter, der grundsätzlich sowohl geistig wie auch körperlich Teil der "Inszenierungen" Tagwerkers ist, wird befragt.
Eine der, für mich, wichtigsten Leistungen der Kunst Tagwerkers ist die Balance der hierarchischen Kategorien und kulturellen Assoziationen, die sich trotz der den Arbeiten innewohnenden Unwucht oder Unruh unweigerlich während der Betrachtung oder Begehung der Arbeiten ergibt. Tagwerker konstruiert mit einer durchaus handwerklichen Genauigkeit intellektuelle und emotionale Referenzsysteme, die letztlich kaum angemessen, zumindest nicht wirklich klärend verbalisiert werden können. Obwohl Tagwerker sicht- und lesbare Raster und Module verwendet, obwohl er die Quellen seiner Dinge und Ideen - vom Baumarkt über den urbanen, besser architektonisch gestalteten Raum bis zur konkreten oder minimalistischen Ideengeschichte - zeigt und benennt, wird, glücklicherweise, von den Objekten auf der interpretatorischen Ebene eine Unschärfe ermöglicht. Fast kaleidoskopische Spielräume der Auslegung entstehen, welche die Wahrnehmungsraster der Betrachter herausfordern, aktivieren - subjektive Wissens- und Lebensräume können zum Teil der ästhetischen Erfahrung, dem eigentlichen Objekt Tagwerkers, werden.

Interpretation
Tagwerker lässt also Werk und Betrachter nicht nur interagieren, sondern fast amalgamieren - aber ein wichtiges Moment der Gesamterscheinung der Arbeiten fehlt noch: der Raum, in und mit dem die Licht- und Rasterkörper sind.
Im konkreten Fall ist die Hülle der Präsentation das Kunstmuseum Appenzell mit seinen zehn Ausstellungskabinetten. Die Architektur ist für die Dauer der Ausstellung allerdings eher Material als Umkleidung, denn die Arbeiten Tagwerkers stehen nicht nur ponderiert in Räumen, sie verhalten sich nicht nur in schönen Massverhältnissen zu vorgegebenen Dimensionen - sie interpretieren diese, verändern gar ihren Wert. Nach dem Rundgang durch die Ausstellung sieht man auch das Äussere, die monolithische Erscheinung des Gebäudes mit einem anderen, mit einem offeneren Blick.
Jeder der zehn Räume, die vom Künstler für das Kunstmuseum eingerichtet, von dem Punkt der Atelierplanung zum Raumstatement verwandelt wurden, wird zur Dependance der Ideenwerkstatt Tagwerkers. Die Chromstahlschindeln der Fassade verweisen nicht mehr auf die traditionelle Architektur der Umgebung, sind nicht mehr "leere" Gemälde, die Bilderausstellungen ankündigen. Ihre rhythmische Anordnung, ihre spiegelnde Oberfläche, selbst die als Bild artikulierten Formen des Sheddachs und die Schattenfuge in der Bodenzone werden zu Elementen, die auf die plastischen Erzählungen Tagwerkers Bezug nehmen.
Diese Offenheit für verschiedenste Geschichten (Narrationen) und die damit verbundenen Lesarten ist selbstverständlich in der Architektur von Anette Gigon und Mike Guyer bereits angelegt - sie wird von Tagwerker aber in einer Art und Weise aktiviert, die zur Umkehrung führt: nicht "Kunst am Bau", sondern "Bau an Kunst" gilt, eben "Tagwerker-Museum".
Eigentümlich bei dieser Transformation ist, dass die reduktionistischen Arbeiten Tagwerkers so etwas wie eine narrative Aura entwickeln, die sich wie Licht oder Schatten ausbreitet. "Aura", seit Walter Benjamin das Unwort der Moderne, könnte vielleicht durch das neutrale "Wirkkraft" ersetzt werden, noch besser durch "Wirkung" in einem informationstheoretischen Sinn: eine minimale Operation verändert das ganze System. Der Eingriff Tagwerkers im System Museum besteht aus der Platzierung der Arbeiten - ab diesem Moment dient das ganze System der Erzählung von Verdichtung und Entfaltung.
Tagwerker hat in und mit den material reduzierten Arbeiten einen Kompressionsprozess realisiert, der je nach Wahrnehmungsintensität umgekehrt wird: So wird aus anscheinend hermetisch-abstrakten Gebilden wie beispielsweise Alexander eine geschichtstragende Figur, eine "Sprechstätte", die mit allen Sinnen "erlesen" werden kann. Wenn ...

ein möglicher Rundgang
stattfindet:
Der Rundgang durch die zehn Kabinette des Museums bietet einen Überblick zum Schaffen Tagwerkers seit 2001. In der sparsamen, auf die Räume hin konzipierten Inszenierung erleben die Besucher Raum, Licht, Spiegelungen, Metall, Fotografie, Holz ... Umgebung, Rhythmus, Ton und Zeit als Elemente einer Kunst, die formale Reflektion und narrative Assoziation ineinander blendet.
Im Foyer des Kunstmuseums Appenzell wird der Besucher von einem scan.portrait begrüsst: armiertes grünliches Glas vor einer Spiegelfläche in einem Metallrahmen, banal und poetisch zugleich. Das gerasterte, unscharfe Spiegelbild des Betrachters verweist auf digitale Überwachungstechniken; aus einem anderen Blickwinkel nimmt man pointillistische Interieurs oder Landschaftsbilder wahr: Malerei ohne Pinsel und in jedem Augenblick anders. Das Unbetitelte Deutsche Ornament in Raum 1 ist autonome Plastik und zugleich ein Verweis auf ein Ornament für Arme - aus Billigsteinen gefügte Sichtschutzmauern, die in einer Abwandlung des gemauerten Blockverbands das deutsche Stadtbild der1960er und 1970er Jahre prägten. In der Version von Tagwerker wird daraus ein silbriger Paravent, ein Raumteiler aus La Notte von Michelangelo Antonioni; oder doch eine Barriere, die den Bereich der Kunst vom Alltag trennt?
Ebenso fragwürdig erscheint die "Wandleuchte" 6x4x18W.flash: es wird nichts beleuchtet, aber möglicherweise erzeugen die rhythmisch getakteten 24 Neonröhren hinter den 6 Acrylglaskörpern ein sich ständig wandelndes monochromes Gemälde, dessen Thema die Farbe Weiss ist - untermalt vom leisen Klingeln der Vorschaltgeräte, die jeden Lichtstrich ankündigen.
Das Motiv des Raumteilers, vielleicht auch Bildmischers, wird in Raum 2 weitergeführt. Das Moiré-Labyrinth aus 8 Standspiegeln, angeordnet in einem logischen Raster, ermöglicht unendliche, mal nüchterne, mal psychedelische Bildeindrücke. Der Alias-Effekt der im menschlichen Auge aufgrund seiner "fehlerhaften" Konstruktion unmittelbar eintritt, wenn unter-schiedliche (Punkt-) Raster miteinander kombiniert werden, ist notwendig, um noch nicht gesehene Phänomene zu erschaffen.
Der "genähte" Spiegel in Raum 3 gibt nichts wieder: er zeigt eine Lichtzeichnung, die so nur an dieser Stelle in diesem Gebäude möglich ist. Dass unser Spiegelbild von der Spiegelnabe durchixt wird, ist ein visueller Nebeneffekt. Dafür pocht das Vorschaltgerät in der Bodenarbeit tube.flash fast im Herzrhythmus und ermöglicht an den beiden Enden des Lüftungskanals das temporäre Aufblitzen eines Rasterbildes. Die Individualisierung technischer Versatzstücke kippt im grid.portrait in Raum 4 in die technoide Entindividualisierung des menschlichen Antlitzes. Das sich dann noch - in einer fast dramatischen Steigerung - in der nicht benutzbaren Ausgangstür wiederfindet, dann aber mit dem Kainsmal Exit auf der Stirn.
Raum 5, ein Boudoir mit Kronleuchter und broken.mirror, beherbergt eine Lichtnotation, eine zitternde Neonflamme, und einen dekonstruierten Spiegel. Die Neonarbeit ist eine Raumzeichnung; der Spiegel ist ein graphisches Emblem - beide thematisieren pointiert die Wände des Ausstellungsraumes als Teil der ästhetischen Erscheinung.
In ähnlicher Weise eignen sich die beiden Alexander-Formen in Raum 6 als Umschaltstation an. Die Formen, die auf modellhafte und modulare Raumkonstruktionen des Künstler-Ingenieurs Alexander Rodtschenko Bezug nehmen, sind gegenseitige Sockel, Schlachtböcke, Schachfiguren, Weg-Weiser, Architekturen usw.
Der kleinere Alexander wird von der Arbeit 11x58W/154.flash in Raum 7 illuminiert - wie auch X-door (Liebe ist kälter als der Tod) im gleichen Raum. In der Passagensituation interagieren die Werke. Taktgeber der Kommunikation der Gegenstände ist die Lichtarbeit - allerdings in einem eher mathematisch-geometrisch, kaum semantisch-anekdotisch zu verstehenden Morse-Rhythmus.
Raum 8 präsentiert den Künstler (und implizit den Betrachter) als Flaneur, der aus der Wahrnehmung des Bestehenden neue Einheiten konstruiert - Werk-Einheiten, die bewusst die Dominanzgesten brutalistischer Betonarchitektur und Armierungsgitter aus der Frosch- oder Vogelperspektive betrachten. Dadurch werden die quasi-militärischen industriellen Ordnungs- bzw. Aufmarschmuster verzerrt, vielleicht auch entzerrt. Die urban.studies sind wie Destillate von Walter Benjamins Passagen-Werk. Versuche der (Um-) Deutung der gegebenen Welt.
In Raum 9 scheint man in einen Naturraum zurückzukehren. Flächiges Licht erscheint und verwandelt raw.portrait in ein Wasserbild, in dem sich kein Narziss spiegeln kann. Steht man der Quelle des Lichts, das die Kabinettarchitektur zum Leuchten bringt, gegenüber, erfährt man die Härte des kalten Lichts.
Ambivalent sind auch die johnson.twins, eine massstabsgetreue Re-Inszenierung der von den Architekten Philip Johnson und John Burge in Madrid erbauten 144 Meter hohen Puerte de Europa. Das Tor Europas trägt im Original auf dem rechten Turm den Schriftzug einer spanischen Bank, auf dem linken jenen einer spanischen Immobilienfirma. Im Massstab des Künstlers werden daraus ästhetisch vollkommene Käfige.
Die technischen Werke (TW) von Annette Gigon und Mike Guyer sowie von Gerold Tagwerker verbindet neben der Perfektion ein besonderes Moment: die Würdigung und gleichzeitige Umdeutung unserer prägenden Alltagswelt. Bei den Architekten des Kunstmuseums ist dies - vereinfachend gesagt - die Poetisierung der kleinindustriellen Architektur des Appenzellerlandes; bei Tagwerker ist es - irgendwie - die Rückkehr der Technik zum altgriechischen philosophischen Begriff der techne (τεχνη) in dem Kunst, Wissen und Herstellungsprozesse gleichwertig enthalten sind. Ausgehend davon bekommt man mehr, als man sieht, wenn [...].

Roland Scotti in Gerold Tagwerker _grids.zeroXV, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Kunstmuseum Appenzell, Steidl Verlag, Göttingen 2015

Zur PoIysemie des Rasters ↑ top

Der geometrische Raster bildet in den Arbeiten Gerold Tagwerkers eine immer wiederkehrende Figur und den wesentlichen formalen wie auch inhaltlichen Bezugspunkt. Man findet bei Tagwerker Raster in semidokumentarischen Fotografien von Hochhausfassaden ( urban studies ), in skulpturalen Arbeiten ( grids_untitled ) in Form verzinkter Stahlgitter oder sieht sich als Betrachter einer lichtinstallativen Arbeit mit verspiegelten Gittermodulen konfrontiert ( blur.grid ). In der Ausstellung zero_X schafft Tagwerker ein Ensemble von visuellen Anordnungen oder Dispositiven, um die ins kollektive Unbewusste gesickerten Formen des Rasters lesbar, rekontextualisierbar und damit ästhetisch sowie semiotisch anschlussfähig zu machen. Tagwerker fasst die Formen, auf die er rekurriert, dabei nicht als kulturelle Gegebenheiten oder Immanenzen auf, sondern reflektiert deren kulturgeschichtliche Aufladung und Verweiszusammenhänge.

In der aktuellen Ausstellung erweitert Tagwerker das Formenrepertoire der rasterbasierten Kreuzform um eine X-Form, die wie die anderen Raster und Rasterfragmente mehrdeutige semantische Verweise bildet. Tagwerker untersucht die unterschiedlichen performativen Möglichkeiten des Rasters, wobei jede Arbeit zugleich auf andere Arbeiten im Raum zu verweisen scheint. In Form von beinahe szenischen Arrangements treten die Bilder und Objekte miteinander in Beziehung und kommentieren einander gegenseitig. So ergeben sich im Rahmen dieser Ausstellung drei Gruppen von Arbeiten, drei semantische Felder, die miteinander ein Geflecht von Beziehungen, Verweisen und losen narrativen Koppelungen bilden. Im Folgenden möchte ich für jedes dieser Felder exemplarisch ein bis zwei Arbeiten heranziehen - jedoch nicht in der Absicht einer eindeutigen Lektüre oder "Dechiffrierung". Das Interesse Tagwerkers am Raster gilt ja gerade der Polysemie des Rasters, der Vieldeutigkeit seiner potentiellen semantischen Koppelungen.

I/

Das Skulpturenpaar alex#1_wood und alex#1_steel , das ich der ersten Gruppe von Arbeiten, dem ersten semantischen Feld, zuordnen möchte, verweist durchaus noch auf Tagwerkers frühere Analysen rasterlogischer Formen, die sich auf Moderne und Modernismus beziehen. So liegt auch die historische Referenz dieser Arbeit in der Moderne. Tagwerker bezieht sich hier auf ein kleines abstrakt-konstruktivistisches Modell Alexander Rodtschenkos, den Baustein eines möglichen Strukturgefüges, das unendlich erweiterbar ist. Er entlehnt diese Form, interpretiert das Modul Rodtschenkos jedoch um, indem er Größe und Material verändert. Durch die Vergrößerung macht er das Modell zur Skulptur, zum körperlichen Gegenüber der BetrachterInnen. Zudem stellt er zwei unterschiedliche Varianten her, eine kleinere aus poliertem Stahl sowie eine etwas größere aus unbehandeltem Fichtenholz. Das Objektpaar bildet ein Differenzgefüge, eine Skulptur wird zum Kommentar und zur Infragestellung der anderen. Tagwerker inszeniert hier die unterschiedliche Performanz eines Formprinzips. Der Form nach gleich, entwickeln die Objekte dennoch völlig unterschiedliche Präsenz im Raum und koppeln unterschiedliche Konnotationsfelder und assoziative Aufladungen. Das Stahlobjekt könnte als Pult, als Tisch oder einfach als Objekt der Minimal Art gelesen werden, während das Holzobjekt an einen Werkstock, einen Hackstock oder auch an ein Objekt Carl Andres denken lässt. Der Betrachter des Skulpturenpaares wird zum Handlungsträger eines differenzbildenden ästhetischen Spiels, das er mithervorbringt und fortschreibt. Tagwerker untersucht hier einen klassisch-modernen Entwurf, um zu zeigen, wie die Formen der Moderne auf unterschiedlichste Art und Weise in alltägliche Gebrauchsformen diffundieren. Trotz dieser semiotisierenden Ebene bleibt die Doppelskulptur alex#1 der konstruktivistischen Rhetorik treu. Der Raster bleibt als souveränes Konstruktionsprinzip lesbar, die Formen- und Materialsprache stets der Klarheit verpflichtet.

In der Fotoserie urban studies - Chicago#7 führt Tagwerker, zumindest auf den ersten Blick, eine geschichtsreflexive Lektüre des Rasters durch. Hinsichtlich der interpretatorischen "Werktreue" findet sich noch eine ähnliche Ernsthaftigkeit wie bei der Doppelskulptur alex#1 . Man sieht sich vier gleich großen, quadratischen Fotografien des Hochhauses auf dem Netsch-Universitätscampus in Illinois/Chicago, einer Ikone der modernistischen Architektur, gegenüber. In der Positionierung der Bilder, die freistehend an die Wand gelehnt sind, sich teilweise überlagern und verdecken, findet sich jedoch bereits ein die rasterlogische Ordnung dekonstruierender, beinahe spielerischer Ansatz. Die strenge Struktur des Gebäudes wird durch die lose Anordnung der Bilder zum Pattern umgeschrieben, der Raster dabei gebrochen und verfügbar, das heißt frei kombinierbar gemacht.

II/

Die zweite Werkgruppe unterminiert die Prinzipien der Moderne und des Modernismus um ein Weiteres und lässt - dies ist für Tagwerkers Arbeit ein Novum - eine durchaus narrative Lesart zu. Das Brecheisen in der Installation wrecking , wenn auch zur Skulptur verwandelt und dem alltäglichen Kontext durch Veränderung der Materialsprache (Verchromen) enthoben, tritt in einen szenischen Zusammenhang mit der Stahlblechtür der daneben befindlichen Arbeit Exit , einer Tür, die den Betrachter beim Blick nach "draußen" auf das eigene hinter einem Raster gefangene Spiegelbild zurückwirft. Der Betrachter findet sich in einer geradezu bedrohlichen Situation wieder, bei der jegliche Identifikation mit dem Gesehenen und der kontemplative Blick auf das ästhetische Objekt verhindert wird. Tagwerker schafft mit diesem Ensemble ein geradezu dystopisch anmutendes Szenario.

Im Spiegelobjekt target.mirror wird der Betrachter mit einer aus Spiegelsegmenten schichtenweise zusammengesetzten Zielscheibe konfrontiert. Tagwerker zitiert hierbei grafisch ein Fadenkreuz. Der Raster spielt in diesem visuellen Dispositiv keinesfalls eine neutrale Rolle, er repräsentiert vielmehr eine Wahrnehmungssituation der Bedrohung. Doch führt er das Dispositiv der Kontrolle durch den Einsatz von Spiegelglas ad absurdum: Der Betrachter selbst ist im Visier. Im Versuch der Fokussierung fragmentiert der Betrachter aufgrund des schichtenweisen Aufbaus des Spiegelobjekts das eigene Antlitz.

Die großformatige Fotografie Tampa#1 an der Stirnwand des vorderen Raums verstärkt das die Ausstellung charakterisierende Moment des Bedrohlichen. Der Betrachter sieht, beinahe aus der Froschperspektive, ein übermächtig wirkendes Gebäude, realiter ein Versicherungsgebäude in Chicago. Wie in den früheren Fotoarbeiten der Serie urban studies wählt Tagwerker eine Bildgröße, die die Körpergröße der BetrachterInnen übersteigt und verstärkt damit den imposanten Wahrnehmungseindruck. Er inszeniert die Ansicht eines Gebäudes, das abstrakt und roh scheint, das an Gefängnisarchitektur denken lässt. In Resonanz und im konnotativen Wechselspiel mit dem Brecheisen von wrecking , der Stahlblechtür von Exit und target.mirror entsteht schließlich ein szenisch-narratives Ensemble der Bedrohlichkeit. Mit dieser Exaggeration erweitert Tagwerker seine Untersuchung der Polysemie des Rasters um eine Ebene, die das Idiom der Moderne ironisch kommentiert und die Autorität des Rasters infrage stellt.

III/

In der dritten Werkgruppe, wofür die Installation blur.grid exemplarisch stehen kann, wird die Figur des Rasters auf phänomenologische Art und Weise unterwandert und aufgelöst. Tagwerker inszeniert in blur.grid eine bewegliche Wand, einen Raumteiler, der aus sechs quadratischen Neonlichtmodulen zusammengesetzt ist. Die Anordnung der rasterartig verspiegelten Module verdichtet sich zur Lichtwand, die Tagwerker parallel zur Ausstellungswand positioniert, sodass sich ein schmaler Korridor zwischen Wand und Objekt bildet. Man durchschreitet einen pulsierenden Korridor, einen Ort, der eine Verunsicherung und Destabilisierung der Wahrnehmung verursacht. Der ästhetische Status des Rasters ist im Kontext dieser Lichtinstallation ambivalent: Die durch den Raster vermittelte geometrische Klarheit wird vom Schwanken der Lichtintensität der Neonröhren konterkariert. Das Pulsieren des Lichts überblendet den Raster und löst ihn auf. Nicht das Lichtobjekt im Sinne einer geschlossenen Entität, sondern seine destabilisierende Wirkung auf den gesamten umgebenden Raum und die benachbarten Arbeiten bildet hier das ästhetische Ereignis. Die Arbeit schafft eine geradezu akzidentielle Räumlichkeit, in der nicht mehr orthogonale Ordnung und räumliche Bestimmbarkeit dominieren, sondern die Indeterminiertheit raumzeitlicher Abläufe und die Kontingenz der Raumerfahrung in eine Art perzeptiven Ausnahmezustand münden. Indem blur.grid eine Räumlichkeit hervorbringt, der stets eine Unbestimmtheit, Unsicherheit, ja ein Scheitern eingeschrieben ist, wird evident, dass Raum kein metaphysisch Reales ist, das sich einfach in ein Koordinatensystem übersetzen lässt. Die Infragestellung des abstrahierten, geometrisierten Raums mündet bei Tagwerker in die Evokation eines "akzidentiellen, heterogenen Raums, in dem die Teile und Brüche wieder zum Wesentlichen werden" (Virilio).

David Komary zur Ausstellung Gerold Tagwerker - zero_X , Galerie Grita Insam, Wien 2010


Von der Fassade der Moderne ↑ top

„Chicago ist die wahre amerikanische Großstadt: produktiv, gewalttätig und tough. Hier stehen die Klassen einander wie feindliche Heere gegenüber, die Wohlhabenden in den schmalen Streifen reicher Wohnburgen längs des herrlichen Seeufers und gleich dahinter die riesige Hölle der armen Viertel." So schreibt Italo Calvino 1959/60 auf einer Reise in den USA (#1). Es wird ein USA-Bild heraufbeschworen, dass für die Zeit der 50’ger Jahre typisch ist. Auch Mies van der Rohe reiht sich in dieses Bild idealtypisch mit ein. Mies’ Bauten zeichnen sich durch Wirtschaftlichkeit und Eleganz aus. Sie werden für mindestens dreißig Jahre die Vorbilder weltweit für US-amerikanische Effizienz und elegant auftretende Mächtigkeit. Die rationellen rasterartigen Bauten entsprechen dabei noch weiteren Idealen: Funktionalität, Sachlichkeit, Transparenz von Struktur und Konstruktion. Allesamt geradezu Schlagwörter eines anzustrebenden Demokratieverständnisses.

Gerold Tagwerker war vielmals in Chicago und verarbeitet immer wieder Motive aus dieser zum Sinnbild gewordenen Stadt der amerikanischen Moderne.

So lehnt er beispielsweise einen schwarz/weißen Fotoabzug, kaschiert auf eine Pressspantafel an die Wand. Körnig, und als ob der Blick bei der Monumentalität des Motivs dieses gar nicht ganz erfassen kann, kippt er nach oben und nach hinten und gibt nur je zwei kleine Ausschnitte Himmel frei. Der Rest ist Fassade und eine typische Mies’sche Gebäudekante. Wie bei einer gotischen Kathedrale strebt der Blick aufwärts und die Struktur verkleinert sich dementsprechend perspektivisch. Abgestellt und angelehnt kippt das Motiv sogar doppelt. Und als Bild auf einer Spanplatte verweist es gleichzeitig auf seine Materialität, einem Display gleich, das für einen Einsatz bereit steht.

Der Gegenständlichkeit dieser Art von Arbeiten, die in Tagwerkers Werk immer wieder auftauchen, scheint besondere Bedeutung zuzukommen, benützt er doch gern Materialien und deren Kombination, die wie selbstverständlich zum allgemeinen Inventar heutiger Architektur gehören wie zum Beispiel Leuchtstoffröhren, verzinkte Gitter oder billige, aber edel erscheinende Platten, die als Paneele den Anblick baulicher Eingeweide wie Kabel und Röhren verdecken. Da diese Vertrautheit schon auf Gewohnheit unseres Verständnisses von moderner Architektur fußt, kann sie mittlerweile auch als eine Tradition gesehen werden, neben der gleichzeitig noch die ländlich bodenständige, regionale parallel existiert. Der wechselseitig erfolgte transatlantische Modernetransfer spiegelt dabei auch die europäische Geschichte von Ablehnung und Vereinnahmung der Moderne überhaupt wider.

Im Osten und mittleren Westen der USA wurden die Architektur und die Kunst stark durch die vom Bauhaus geprägte Ernsthaftigkeit beeinflusst. Dagegen steht im Westen der USA gleichzeitig das Bild von Kalifornien mit seiner leicht anmutenden Experimentierfreudigkeit, wie sie beispielhaft in der Architektur eines Pierre Koenig oder dem Design von Charles und Ray Eames gesehen werden kann. Der ewige Wunsch nach Variabilität, Hinzufügen und Wegnehmen, Anpassen an vorhandene Verhältnisse und nomadisch anmutender Reversibilität, wird hier sichtbar.

Die Idee aus Flächen Räume zu gestalten, ist hier zum Spiel geronnen, in das man sich einnisten kann und der Benutzer der Souverän bleibt. In seinen „construct_unfinished"-Skulpturen geht Tagwerker diesem Phänomen nach und zeigt es als überdimensioniertes Zitat einer modularen Architektur, die wiederum das „House of Cards" von Ray Eames zitiert als das nie ganz zu erreichende Ideal einer Architekturphantasie. Das „anything goes" des Fortschrittsglaubens findet hier sein unhandliches Bild.

Auch zwei Videoarbeiten Tagwerkers kreisen um das Thema unserer Kultur Räume zu gestalten. In dem einen bauen Kinder Klötze zu Hochhäusern, die unweigerlich zusammenbrechen müssen. Im anderen variiert der Architekturhistoriker und Schriftsteller Friedrich Achleitner, der mit einer Brille à la Corbusier ausgestattet, den österreichischen Zeitraum der Moderne gleichsam selbst verkörpert, die Worte „form", „follows" und „function" zum behäbigen nicht ganz akzentfreien Rap, die Phrase der Moderne in der Architektur überhaupt.

Axel Jablonski im Katalog zur Ausstellung „Fifty Fifty - Kunst im Dialog mit den 50er-Jahren", Wien Museum, Verlag für moderne Kunst Nürnberg, Nürnberg 2009

(#1) Italo Calvino. Eremit in Paris. München 1997. S. 85


IMPERMANENT GEOMETRY ↑ top

Da wir bisher den Raum vom Boden her, also geometrisch, erlebt und verstanden haben, war das Merkmal alles Räumlichen die Definition, die Grenze. Und jetzt, da wir den Raum von innen her, also topologisch, zu erleben und zu verstehen beginnen, wird das Merkmal alles Räumlichen das Überschneiden, das Überdecken, das Ineinandergreifen werden. (Vilém Flusser)

Der Ausstellungsraum von impermanent geometry ist - so möchte man auf den ersten Blick meinen - in zwei Zonen unterteilt. Zwei Zonen in Analogie zu den zwei künstlerischen Positionen von Gerold Tagwerker und Amy Yoes, die weder räumlich miteinander verbunden noch ästhetisch miteinander synchronisiert sind. Das verbindende Element ist ein geradezu immaterielles: Sowohl bei Tagwerker als auch bei Yoes fungiert Licht als wesentliches raumkonstitutives Medium, einmal durch die Evokation eines unbestimmten, diffus atmosphärischen Lichtraums, das andre Mal als Trägermedium einer Projektion, die die arretierten Einzelbilder einer Stop-Motion-Animation zu einem Bildraumkontinuum synthetisiert. In beiden Fällen evoziert das Licht - hierin liegt der gemeinsame Nenner - eine geradezu transitorische Bildräumlichkeit, in der nicht die orthogonale Ordnung und die räumliche Bestimmbarkeit von Interesse sind, sondern die Indeterminiertheit raumzeitlicher Zusammenhänge und Abläufe sowie die Kontingenz der Raumerfahrung in der ästhetischen Anschauung.

Sowohl Tagwerker als auch Yoes gehen in ihren Arbeiten mit der Konstruktion gegen die Konstruktion vor. Sie inszenieren visuelle Systeme und untersuchen das jeweilige Möglichkeitsfeld von Rekursivität und Selbstreferenz innerhalb dieser autopoietisch erscheinenden ästhetischen Kreisläufe. Die KünstlerInnen stellen dabei die schematisiert geometrisierte Raumvorstellung zur Diskussion. Der Konvention des triaxialen, euklidischen Behälterraums wird, einmal phänomenologisch (Tagwerker), einmal semiologisch (Yoes), eine dynamisierte, relationale Raumvorstellung gegenübergestellt. Die KünstlerInnen generieren auf vager Geometrie fundierte Bildräumlichkeiten, sie inszenieren unbeständige Geometrien, die den Betrachter mit einer Situation der Unbestimmtheit und der Kontingenz konfrontieren. Gerold Tagwerker versucht, das kollektive Unbewusste urbanistischer Grundformen transparent zu machen. Fokussiert werden einerseits die utopischen Aufladungen dieser Formen, andererseits ihre Auswirkungen auf die Wahrnehmung. In der Lichtarbeit blur.grid verbindet Tagwerker objekthafte Konkretheit mit ästhetisch-prozessualer Offenheit und Unbestimmtheit: Tagwerker „inszeniert" eine bewegliche Wand, einen Raumteiler, zusammengesetzt aus sechs quadratischen Neonlichtmodulen. Die Anordnung der rasterartig verspiegelten Module verdichtet sich zur Lichtwand, avanciert zum Bild, zur Raster-Licht-Malerei. Der Raster evoziert in dieser pikturalen Lesart die Vorstellung eines Velums, des Fadengitters, das zur Strukturierung, Vermessung und Konstruktion des zentralperspektivisch organisierten Bildraums diente. Der Raster versprach Orientierung, garantierte die Vermessbarkeit des „dahinterliegenden" Raums und verwies zugleich stets auf einen souveränen Beobachterstandpunkt. In seiner Durchsichtigkeit wurde der Raster zudem Ikone und wesentliches Leitmotiv der Moderne, verbunden mit der Forderung nach der Auflösung der Grenzen, der Verschmelzung von Innen und Außen und dem Ideal der absoluten Transparenz.

Doch der ästhetische Status des Rasters im Kontext dieser Lichtinstallation ist ambivalent: Die durch den Raster vermittelte geometrische Klarheit wird von einer Inkonstanz, dem Schwanken der Lichtintensität der Neonröhren, konterkariert. Das Licht, sukzessive an- und absteigend, überblendet den Raster, es drängt sich vor, löst ihn auf, um dann wieder hinter ihm zurückzutreten. Eine Ästhetik der Periodizität und des Schwindens bestimmt die Arbeit. Die präzise Form des Rasters wird im Crescendo des Lichts unscharf, er wird zum blurred grid. Das Licht selbst wird dabei in seiner Medialität, eigentlich seiner Immaterialität, „sichtbar". Nicht mehr die Fläche ist der ästhetische Handlungsraum, sondern der gesamte umgebende Raum, der, vom Licht „affiziert", zwischen Nah- und Fernraum oszilliert.

Dem anfänglich anklingenden funktionalistischen Optimismus der Lichtskulptur tritt eine phänomenologische Komponente gegenüber. Bei Tagwerker kreuzen sich zwei komplementäre Bildräumlichkeiten, atmosphärisch/phänomenologische und geometrisch/abstrakte Räumlichkeit. Die Arbeit adressiert anfänglich das Auge, wendet sich dann jedoch dem gesamten kinästhetischen Komplex, dem Körper, zu. Der Betrachter wird Teil eines Lichtraums, eines von Lichtvektoren und -lagen konstituierten transitorischen Bereichs, er durchschreitet ihn, schreibt sich ihm ein, indem der die Lichtprojektion schneidet. Tagwerker gelingt es, Wahrnehmung kontingent zu setzen. Der Betrachter findet sich wieder in einem Kontinuum möglicher Anschauungen, einem Kontinuum der phänomenologischen Zeit als ein „Ineinander von Retention und Protention" (Husserl).

Die Fokussierung auf die Temporalisierung der Wahrnehmung sowie die Relativierung triaxialer Raumstrukturen bilden wesentliche Gemeinsamkeiten mit der Arbeit von Amy Yoes. Ein „rear-view mirror", ein Rückspiegel, erlaubt einen Blick zurück bei gleichzeitiger Vorwärtsbewegung. Im gleichnamigen Video von Amy Yoes, einer Stop-Motion-Animation, wird eine ähnliche Doppelbewegung auf bildsemantischer wie auf temporalontologischer Ebene evoziert. Yoes scheint historische Bilder, etwa von Schwitters Merzbau, zu dynamisieren, sie lässt Archivbilder zum Leben erwachen. Die Bilder beziehen sich zwar entfernt auf bekannte fotografische Vorlagen, überlassen den Betrachter aber dennoch einer gewissen Unbestimmtheit. Die Animation erscheint als vage Erinnerung, vielleicht bereits eine Erinnerung an die Erinnerung, gänzlich in Schwarzweiß gehalten, einer alten Fotografie nicht unähnlich; eine Unbestimmtheit, die etwas Unheimliches in sich birgt. Die Lichtprojektion schafft Gegenstände und Abläufe von geisterhafter, obskurer Präsenz, die mit jedem Augenblick, mit jedem Bild, zu vergehen drohen.

In einem bühnenhaften Arrangement, das in einer einzigen „Einstellung" vorgeführt wird, inszeniert Yoes die sukzessive Dynamisierung und Verdichtung teils dreidimensional-abstrakter, teils flächig-ornamentaler Formen. Linien, Kurven sowie amorphe Formen, gefertigt aus Papier, Draht, Plastilin, treten neben- und nacheinander auf und führen ihre Fähigkeit zur ästhetischen Affizierung vor. Die formalen Elemente bzw. Akteure fungieren hierbei als ästhetische Entitäten ohne klar bestimmbare Referenzen und Zwecke, sie sind Einzelbestandteile, deren ästhetischer Gehalt erst in der Konstellation und im Zusammenspiel mit anderen Elementen evident wird. Wenn Ursache und Wirkung in diesen gerichtet-ungerichteten Abläufen auch unklar bleiben, so ist der fortwährende Anschluss als Prinzip erkennbar. Die Formen bilden Gruppen, Subszenen, treten dann in Interferenz mit anderen Formgruppen, verdichten sich, lösen sich wieder auf oder treten ab. Die visuellen Ereignisse scheinen einer inneren, geradezu kompositorischen, wenngleich maschinellen Logik zu gehorchen und erzeugen ihren eigenen imaginären Raum der Heterogenität und Simultanität.

Yoes rekurriert wie auch Tagwerker auf Bildregien der frühen Moderne, insbesondere jedoch auf deren experimentelle Variabilität. In ihren Animationen stehen abstakte, flächige und (teils) figurative Elemente in keinem Gegensatz zueinander, einzig die Performanz und die Kontingenz der ästhetischen Ereignisketten sind von Interesse. Versuchten die Surrealisten, dem Rationalismus einer technologisch und funktionalistisch bestimmten Moderne die Dimension des Unbewussten entgegenzusetzen, so finden sich in Yoes Akteuren, die sich im Übergangsfeld von Abstraktem und Amorphem, Traumhaftem und Realem, Physischem und Psychischem bewegen, während sie einer écriture automatique zu folgen scheinen, beide Momente miteinander verbunden.

Yoes und Tagwerker entwerfen eine Räumlichkeit, der stets eine zeitliche Dimension inhärent ist. Solcher Raum ist nicht schlichtweg vorhanden, er ist kein metaphysisch Reales, das in ein Koordinatensystem übersetzt werden kann - sein ontologischer Status, sein Sein, ist vielmehr vom Werden nicht zu trennen: impermanent geometry. Durch die Auflösung konventioneller Raumvorstellung, des triaxialen Koordinatensystems als Bezugsrahmen räumlicher Vor- und Darstellung, ist der Betrachter sowohl bei Yoes als auch bei Tagwerker letztlich aufgefordert, den eigenen „Standpunkt" - ob innerbildlich-imaginär bei Yoes oder phänomenologisch-real bei Tagwerker - zu überprüfen und der Bildlektüre (semiologisch) sowie der eigenen Erfahrung (phänomenologisch) gegenüberzustellen.

David Komary im Katalog zur Ausstellung „IMPERMANENT GEOMETRY - Gerold Tagwerker, Amy Yoes", Galerie Stadtpark, Krems 2008


10x58W/840.flash-o.p ↑ top

Die Arbeiten von Gerold Tagwerker befassen sich mit Aspekten eines Modernismus, der spätestens seit den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts Einzug in urbane Kontexte gehalten und diese sozialisierenden wie identitätsstiftenden Areale der Lebenswelt nachhaltig geprägt hat. Ungeachtet ihrer Einflussnahme auf Alltagswahrnehmungen und Verhaltensweisen, scheinen die fokussierten Phänomene in der Gegenwart weitgehend kollektiv einverleibt, so dass sie kaum noch bewusst gesehen, geschweige denn reflektiert werden. Zentrale Motive sind mit Licht, Rhythmus, Spiegel und Raster bedeutungsgeladene Mittel, die einerseits existentiell in den Alltag ragen und andererseits ebenso wesentliche wie subtile Elemente einer allgegenwärtigen Kontroll- und Machtausübung sind. Zumeist an architektonischen Zusammenhängen festgemacht und vereinzelt oder kombiniert in großformatigen Fotografien, Skulpturen und Installationen verhandelt, orientiert sich Gerold Tagwerker sinnfällig an Formulierungen der Minimal Art, die jedoch spielerisch verfremdet oder umgedeutet werden. Dabei bedient er sich handelsüblicher Materialien, weshalb die Arbeiten vordergründig vertraut und unaufdringlich daher kommen.
Aber ebenso ambivalent wie ihre Herkunft, pendeln auch ihre Wirkungsweisen zwischen poetisch-emotional berührendem Gestus und einem mitunter unbequem irritierenden Sich-Ins-Verhältnis-Setzen. Konsequent betreiben sie aus immanenter Notwendigkeit eine Erosion liebgewonnener Wahrnehmungsmuster und vermögen darüber hinaus, den Betrachterstandpunkt und das Gefühl der Vertrautheit ganz physisch zu erschüttern. Denn verleitet ihr hochästhetischer Eindruck zu kontemplativer Betrachtung, so prallt der versonnene Blick unvermittelt gegen die Wirklichkeit einer Oberflächenwelt, deren Theologie nichts jenseitiges verspricht, sondern die ganz im freundlichen Schein der Dinge erlöst.
Im Rahmen des Ausstellungsprojektes „heute hier, morgen dort..." in Münster hat Gerold Tagwerker zwei Arbeiten konzipiert, die zeit- und raumversetzt präsentiert werden. Der Förderverein Aktuelle Kunst zeigt die Lichtinstallation "10x58W/840.flash-o.p." während für die Gruppenschau in der Ausstellungshalle zeitgenössischer Kunst drei Fotoarbeiten aus der Reihe der „interiors" erstellt wurden.

Die Installation im Förderverein nutzt die vorgefundene Lichtphalanx des Ausstellungsraums aus zehn Neonröhren, die mittels einer elektronischen Steuerung nach einer zufallsgenerierenden Choreographie rhythmisch an- und abflashen, was an das technikimmanente Startflackern der Leuchtmittel erinnert. Der ansonsten künstlerisch bespielte Raum bleibt im Wortsinne leer und wird durch die Lichtinszenierung in seinen Dimension wie Gegebenheiten architektonisch und zugleich atmosphärisch erlebbar. Über die puristische Raumerfahrung hinaus, markieren die Neonröhren eine Grundfigur städtischer Lebenswirklichkeit, insofern sie den Lebensrhythmus der Stadt von natürlichen Beschränkungen, etwa Tag und Nacht abkoppeln. Dabei gibt die Taktfrequenz des pulsierenden Lichts Auskunft über die Vitalität urbaner Kontexte. Vom öffentlichen Raum in den architektonischen Innenraum verlagert, verschränken sich die Dimension von Innen und Außen, zumal die Struktur des Innenraums zum irritierenden Verweis auf Beschaffenheit und Oberfläche eines urbanen Außenraums gerinnt. Gleichzeitig produziert der programmierte Licht-Code eine Zufalls-Realität, an der sich die Wahrnehmung orientiert.

In Potenzierung der Dimensionen bezieht sich "10x58W/840.flash-o.p." über die Raumwirkung hinaus sinnfällig auf eine im öffentlichen Gedächtnis Münsters nahezu in Vergessenheit geratene Installation von Otto Piene, die seit 1970/71 den vorkragenden Dachbereich der Südwestfassade des Westfälischen Landesmuseums ziert. "Silberne Frequenz" besteht aus einem flächendeckenden Raster aus verchromten Kugeln, die tagsüber das Sonnenlicht reflektieren und nachts in rhythmisch kinetischen Lichtfolgen geschaltet werden. Im Rahmen der projektierten Erweiterung des Landesmuseums in Form eines repräsentativen An- und Umbaus würde die ortspezifische Piene-Arbeit grundlegend verändert, wenn nicht sogar zerstört. Dass ungeachtet der weitgehend beschlossenen Pläne eine öffentliche Diskussion nicht stattfindet, weckt den Eindruck eines subtilen, sonderbar 'ikonoklastischen" Umgangs mit städtischen und langjährig identitäts-stiftenden Kulturartefakten in Münster.

Ein vergleichbares Phänomen fokussieren drei großformatige Interieuraufnahmen aus dem Treppenhaus des städtischen Theaters, die in der in der Ausstellungshalle gezeigt werden. Das von einem Architektenteam um Harald Deilmann 1952-55 errichtete Gebäude markiert den ersten Theaterneubau nach dem Krieg in Deutschland, dessen kompromisslos eigenständige, suggestive und gleichsam sensitiv elegante Formensprache Außen wie Innen internationale Beachtung gefunden hat. Umso mehr erstaunt der marode Zustand der kulturellen Ikone, die im Inneren durch jahrzehntelange, schamlose Veränderungen an Authentizität verloren hat. Was daran liegen mag, dass in einer geschichtsbewussten Stadt wie Münster sich das Architektenteam seinerzeit ungeachtet der dogmatischen Entscheidung zum Wiederaufbau der Altstadt konsequent jeglichen Anpassungsgesten verweigert hatte, weshalb das Stadttheater noch heute als ein futuristischer Architekturmonolith erscheint.

Dass die drei Aufnahmen ein Motiv aus unterschiedlichen Perspektiven ablichten, verleiht ihnen einen filmstillhaften, pseudocollageartigen Charakter. Konsequenz ist ein irritierender Raumeindruck, der den Blick aus der Gehbewegung durch eine Architektur vermittelt, die in ihrer exemplarischen Freistellung den meisten Betrachtern trotz unmittelbarer Nähe fremd vorkommen wird.

Marcus Lütkemeyer im Katalog zur Ausstellung heute hier, morgen dort...,
Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst Münster, 2004


The Third Sight: Loosing Control as a Strategy ↑ top

At first sight, Gerold Tagwerker's work calls for review against the backdrop of the terms and formulations of minimal art, something the artist takes reference to time and again; on second sight, his work relinquishes not only acknowledge-ment of this background, but also playful defamiliarization and reinterpretation (40 years down the road, any other approach seems inconceivable) without, however, making any efforts at critical analysis or deconstruction. Present-day discourse on artistic practices serving as construction of identity and cognitive production leaves little room for minimalist convictions whose rejection of narra-tion, reference, and aura seems unable to function consistently in the context of contemporary perception. Nowadays, its breaking with European traditions, too, appears as almost nostalgic. Against this backdrop, a third sight at Tagwerker's work opens up, which tries to tempt the experiment into pretending that the 60’s never existed and instead aims at an approximation from a cultural studies per-spective. This approach will focus on five central aspects that may very well be part of the minimalist discourse but carry meaning beyond it: Light, rhythm, the mirror, the grid and perspective.

The Abolition of Shadows

Despite expansion of knowledge in the realm of physics, the phenomenon of light remains strangely mysterious. Its secret, which today lies in its simultaneous ex-istence as wave and particle, already began with religious myths of creation. The first chapter of "Genesis”, for example, tells us: "And God said, Let there be light: and there was light. And God saw the light, that it was good: and God divided the light from the darkness." Amazingly, this account shows light at first to remain a part of darkness - apparently, it co-existed with darkness - until God divided it from the darkness and, as we all know, assigned it to the day. Prior to this divi-sion, however, a state prevails in which light and darkness do not exclude one another.
Gerold Tagwerker, of course, is anything but a "creator ex nihilo”, after all, his work draws on manufactured material he happens upon and which then under-goes a subjective selection procedure. His light sculptures and installations invest light with the capacity to serve as an artistic material, which not only rhythmically illuminates Tagwerker's formal constructions and thus renders their component parts legible, but at the same time points beyond their concrete form and intro-duces the aspect of magic. Despite physically intelligible circuits, it is this element that takes place at the moment of immersed viewing. While the myth of creation shows the separation of day and night as an act of control - the driving out of the previous "ambivalent" state, the designation of the dual principles - light sculp-tures such as "11x58W/133.flash" or "cube.cool white" lead us back to the non-controllable space of peaceful coexistence of light and darkness, to the realm of presumptive contrasts prior to the dawn of language, as it were, which nonethe-less remain independent of each other and thus shed their oppositeness. For Gerold Tagwerker's light material does not operate as a function of the degree of brightness of its surroundings, it simply works differently depending on its degree of brightness.

In particular, it is hard to imagine modern cities without fluorescent tubes of all kinds, it seems as though they have become the hallmark of urban life on all lev-els. Thus, light installations such as "13x58W/133.flash" or "11x58W/840.flash" are primarily seen in public urban spaces (in the context of nature they would be rendered meaningless), where they display their different potentialities day in day out. As soon as Tagwerker's light works are installed in architectural interiors, they seem immediately to want to drive them out by denying their validity: through this confrontation, even the strongest evidence of structured interiors is turned into an irritating reference to the surface structure of an exterior space, which always is to be interpreted as an urban one. The "10x58W/840.flash-o.p." installation, for instance, which the artist created for the "Förderverein Aktuelle Kunst” in Münster, Germany, so thoroughly reorganized the showroom with its flickering neon tubes that visitors entirely lost any sense of a protected space of art. In terms of atmosphere, it was suggestive of moments of uneasy feelings in underground parking garages or pedestrian underpasses. Sure enough, neigh-bors inevitably complained: Due to the fact that windows were not sealed off, neon light spread to the outside. But in residential areas, references to typical big-city places with all their connotations cannot be integrated into perception and thus are not welcome. Fluorescent tubes and urbanity, it seems, are almost inevi-tably conditional on one another; no wonder, if we consider the fact that public lighting has influenced cultural practice for nearly three hundred years.

Starting from the second half of the 17th century, there is evidence of street light-ing in European metropolises; during this period, Paris, Berlin, and Leipzig, among others, installed oil lamps on a grand scale, which had an enormous im-pact on night life. The introduction of gaslight as street lighting (since 1820) was even reflected by the emergence of a new literary genre, the "gaslight novels": crime and Gothic novels whose suspense derived from the "in-between", the semi-darkness and its flickering shadows, which had only been created by this new type of lighting. More than a hundred years later, Kraftwerk wrote their lyrics "Neon light, shimmering neon light / And when the night falls / This is a city of light". These lines seem to directly point to Tagwerker's "nightpieces." Looking at images of Chicago facades of high-rise buildings at night, the reality of urban ar-chitecture has lost its powers of persuasion; instead, skyscrapers present them-selves to onlookers as sculptures of light in their own right and give rise to the melancholy and loneliness of big-city experience (which is juxtaposed to experi-ences of nature, and therefore stands as a deeply romantic motif, which is con-structed simultaneously by imagery and atmosphere).

Thus, high-rise architecture, on the one hand, is only made accessible to the population at night through interior and exterior lighting. On the other hand, it ac-quires a new (symbolic) primeval state of darkness, which is not lifted by civiliza-tion's lighting facilities, but is de facto re-created, re-constructed. Unlike Gerold Tagwerker's photographs from "nightpieces", his light installations break with an almost two hundred years old (cultural) notion of interdependence between urban brightness and darkness, which - just as with "gaslight novels” - has exercised a formative influence on urban practice and helped to produce specific "types" of urbanites endowed with an awareness of the rising strength of individuality. His light works consistently challenge these "types" and the accom-panying concept of individuality by denying observers (at least within their per-ception) not only illumination but above all shadows, their own shadow, that is, as well as the "dark spot" city dwellers have become accustomed to ever since the introduction of gas street lighting. One's own shadow (much the same as the mir-ror image) furnishes proof of one's own existence and signifies as to the conse-quences resulting from this existence to the space surrounding it, which is left with the mark of this shadow. Hence, it comprises an ascertaining of both the self and the world. When we look at Gerold Tagwerker's light installations, we see neither our own shadow nor the shadows of others - light takes no reference to us, it stands for itself and for urban exterior space. Here lighting was a crucial prerequisite for the experience of urban nights, which thereby became even darker than nights out in the open. Gaslight brought the flickering of light to public spaces, a point of attack for dark fantasies and potentialities. We have long adopted (culturally and psychologically) this interdependent duality, which is merely a variation of the duality of Genesis quoted above: "There must always be shadows and light if a picture is to be completed." With this autograph-book tenet at hand, we are in possession of control. Gerold Tagwerker, however, does not complete pictures; he deprives us of the comfortable notion of conceivable duality and with his light installations demonstrates to us that this principle remains an apparent construction that only briefly worked as an explanatory model of urban life in the 19th century. Confronted with the latter-day city, which generally is not identified as a legible structure, this hypothetical model is doomed to fail. In his critical examination of the city, the artist himself seems to have reached a point where he accepts the vague permanence of darkness that cannot be driven away or amplified and which needs no further casting of shadows to gain completeness.

His light is without purpose and does not provoke urban opportunities for con-sumption; it makes no difference whether it shines at day or night as it exclusively refers to an urban condition that continues independent of degrees of brightness; it signifies only itself and urbanity, which it both refers to and produces. Against this background, Tagwerker's artistic use of fluorescent tubes becomes - freely adapted from Richard Sennet - an admonishing declaration of love to the me-tropolis itself which enters a state of crisis if the individual's standards of the thinkable and controllable are applied to it and regains urbanity when inhabitants are able to allow their experience of the confrontation with the city to be one of loosing control and being challenged.

The Rhythm of Chance

Those who grew up in the 70’s or early 80’s will maybe remember an electronic toy from this era called Senso. Senso was a UFO-like object whose circular sur-face had four areas installed on it, which could be made to light up in the colors of red, blue, yellow, and green. The toy would randomly set an order of colors by lighting up its four areas in different sequences. The task players had to tackle was to exactly reproduce longer and longer color sequences by pressing the re-spective color areas. In contrast to the meaning of the game's name (which trans-lates as "I feel"), Senso exclusively trained the player's visual memory and his or her ability to spontaneously memorize arbitrary sequences. The pleasure of be-ing successful at Senso derived from the experience of control over the device, which remained inferior to the playing subject. If you failed at reproducing the correct sequences, a frustrating feeling ensued of loosing control over the victori-ous machine, which then could only be subjugated by destroying it; this may ac-count for the fact the we don’t see a lot of old Sensos around these days.

The (light) rhythms displayed in Gerold Tagwerker's installations prompt parallel experiences, but - unlike Senso - in doing so, they never provoke conscious in-teraction from viewers. When programming his work, the artist utilizes two princi-ples: that of chance and that of predetermined patterns. Of course, the principle of chance could be further subdivided into "analytical random series" (the origin of a sequence is known but its effects are not) and "synthetic random series" (produced by a "real" random generator).

Determinism and Chance

"13x58W/133.flash," which was installed in the forecourt of REMISE Bludenz in 2003, shows a well-choreographed, short coming-on of 13 fluorescent tubes which are arranged in a linear pattern: For a couple of minutes, the flickering of different groups of two to four tubes lights up until all tubes finally are set alight and momentarily appear as an uninterrupted row. These sequences are looped and repeated endlessly - thus, they represent a comprehensible plan. By con-trast, the program of "11x58W/133.flash" sets out with a composed one-minute movement of light around the chandelier's axis and subsequently bursts into a thirty-second random sequence were individual tubes are lit up arbitrarily. It fi-nally returns to resume the choreographed part anew.

With the "deterministic" composition of the former work, the artist retains com-plete control of the respective present appearance of his installation. The chore-ography may not be decipherable at first sight but, in time, stamps itself on the mind. In Tagwerker's own words, it is comparable to a jazz bass line - and this explicit reference to music may be the only way to explain why viewers of "13x58W/133.flash" may experience the same frustrations as those engaging in playing with the above mentioned children's toy: Anyone who has ever tried to practice a musical instrument with the help of a metronome will recall the feeling of powerlessness the device's indifferent ticking can touch off with music-playing individuals. Therefore, the artistic as well as artificial precise performance target of a uniform beat and identical repetitions of sequences actually leaves viewers (who are subject to the laws of nature) with only two possible ways of reacting: They can try to retain control as a subject, as it were, by "running behind" perfec-tion on a technical level of perception, looking to reproduce it inside their heads, and failing, as a rule, to succeed. Or they can surrender to its superiority and un-reflectedly allow the ever-same light sequences and their ever-same rhythms to intervene with their state of consciousness and temporarily edge out the subject itself.

However, with light sculptures such as "11x58W/133.flash," Gerold Tagwerker - as noted above - gives room to chance, meaning that fluorescent tubes in some sequences are lit up by a random generator so that, in part, neither the artist nor viewers are able to keep track of, let alone to predict light sequences. Neverthe-less, in his chandelier-like installation, Tagwerker has not only included "synthetic random sequences" but also planned choreography. And behind the design showing the artist release and control his work we can make out the surfacing of the philosophic concept which states that we best do justice to reality if we allow for a "mixture" of plan and arbitrariness. (In this context, there is a provocative element asserting that a certain amount of chance is a feature of individuality whose traditionally sanctioned strategies Gerold Tagwerker has already called into question through his approach to the material of "light").

Yet, the chandelier installation does not attempt to make any claims to a synthe-sis of determinism and chance but depicts them as two separate "forms of exis-tence" which - reminiscent of Tagwerker's doing away of the relation between light and darkness - do not stand as a pair of opposites and neither exclude nor give rise to each other. And how could they: A plan may be remembered; but chance has no memory, it takes place as an ever novel, non-necessary incident, which is unrelated to things that went before or after. This coexistence of two principles of reality requires the artist as well as viewers to think in a consistent manner (which does not target the resolution of difference in harmonious con-sensus) and hold a flexible acceptance of the outside - not simultaneously, not in reverse order, not for this reason, but simply side by side.

Analysis and Magic

The "cube.cool white" light sculpture occupies the space "between" the two works described above. It operates, as does the Bludenz installation, after a composed rhythm of lighting which, in this case, does not stick to the mind and is impossible to break down into sequences - its effect, therefore, is comparable to that of the chandelier installation. But viewers who let themselves in for the cube (which stands there evocative just as much of a freezer as of lounge furniture from the world of Stanley Kubrick) will surely pass through different "states of conscious-ness": At first, they will likely try analytically to uncover the "rule" behind the rhythmic lighting of the cube's surfaces, soon realizing that they have started a quiz game inside their minds about which tube will be the next to light up. It never works. But before viewers have a chance to get annoyed with the game, a magic moment takes place in which the entire cube is illuminated for a short while, tran-scending both in terms of substance and form, the realm we are lost for words to name in the present age. If, against all odds of a physical understanding, one is just about to think the word "wonder," all the lights are already out again. Not il-luminated anywhere, the cube now stands there as if nothing had happened, as if the other "sphere" could impossibly be. At this point, however, it has already caught them. Senso, in its true meaning, has taken place, as the toy never did. One is forced, then, to "let go" in the face of "cube.cool white," to shut down ra-tional thought in favor of emotional experience. With this, the subject's perception is reduced to a gaze that accepts everything the outside world puts before its eyes, and this gaze does not exist within the realm of time. Thus, the artist suc-ceeds in dodging what we initially have understood the formal aspect of his work to be about: in terms of aesthetics, "cube.cool white" is, ostensibly, a sculpture that belongs to the sixties. Its effect, however, suspends the viewer's sense of time and produces the moment as the only reference of perception. When it is remembered, the experience turns into an intensely focused daydream that can stay with us in the form of a melancholy feeling.

Representation and Simulation

Aside from planned compositions - whose patterns are either discovered by viewers or attributed to chance - and the "real" random generator, there is an-other variety of "analytical random series," a variation of which is shown in Tagwerker's "11x58W/840.flash" installation. This installation operates according to a free adaptation of seemingly random programming but is modeled on the Bludenz installation by letting its figurations merge into one another. Engineer Klaus Köck, who was in charge of programming the control module, wrote the following: "The flickering of a fluorescent tube upon being turned on is a process, which is not predictable. Arbitrariness does not increase when something, which is already arbitrary, happens by chance. When you realize a light art project, the technician finds himself in the situation of a conductor who is supposed to pre-miere a piece of music but is given only one sheet showing a graphic notation. But before the work can be performed (exhibited), the engineer must first invent and build some of the instruments. ... I haven't built a random control module, I have tried to create a representation of chance."

With Köck's reading (which once again takes reference to music) artistic expres-sion is not determined by the "real" quality of arbitrariness but by the strength of the (manipulated) effect of chance, which the engineer defines as capable of be-ing increased - chance can appear as being "greater" or "smaller" and acquire higher visibility through representation than with actual random sequences. Through manipulation, the phenomenon is zoomed in upon to the effect that viewers are faced with a simulation of arbitrariness that is stronger than reality. The programmed code of light produces a random reality where signs and reali-ties are fused and rendered indistinguishable - Baudrillard's "larger cultural proc-ess of the modern age" comes to mind. In collaboration with the programmer, Gerold Tagwerker inscribes into this light installation a quality of uncertainty that could be stretched to signify our contemporary perception of the world on a gen-eral level. The act of relating to reality is canceled out, critical judgment has be-come unattainable for individuals; obscure powers pull the strings in the back-ground to let reality appear in a way that best serves their interests. The amplifi-cation of the effect of randomness through artistic manipulation intervenes with reality but remains within the reach of description. The latter critically points to indescribable manipulations to which we are exposed.

The Silence Behind Mirrors

A regularly recurring source material of Gerold Tagwerker's work is the mirror (or mirror backing foil). From his individual objects, it usually turns to viewers as a contact surface. It reflects both the space surrounding the work of art and the viewer, not as a complete mirror image, however, but "deconstructed" into parts, as it were, by gaps which are always part of the surface structures. In that, a ref-erence to the first-ever reading of the mirror motif in cultural history does not ap-ply: Narcissus depends on a complete, unrefracted view of himself in order to be spellbound by his own mirror image, which from now on (like the shadow) will serve to confirm certainty of his self. Lewis Carroll's Alice, on the other hand, had no business with this type of identity discourse and can take those interpreting Tagwerker's mirror-theme by the hand to achieve what any cat will attempt to do when faced with its mirror image - to get behind the mirror. In "Through the Look-ing Glass" (1872), these are Alice's words: "Let's pretend there's a way of getting through into it, somehow, ... Let's pretend the glass has got all soft like gauze, so that we can get through. Why, it's turning into a sort of mist now, I declare! It'll be easy enough to get through …"

With Alice, pure imagination transforms the mirror into a passable border be-tween realities; he who passes through, discovers a parallel universe running backwards, so to speak, in relation to the world on the other side and thus has quite some irritations and shifting realities in store for Alice. (In mirror land, she thus comes upon a checkered landscape in the image of a chessboard grid and discovers a forest where nothing has a name). Similar things happen to viewers of the mirrored surfaces in Tagwerker's sculptures and installations. They must accept the invitation to step through the surface to meet with the objects hidden behind it, otherwise, they will never find out about all there is to it. It is because the mirror hides more than it renders visible - as we have seen, it dissolves the structures, which can only be reconstructed anew beyond the exhibition space. Imagination, however, has no part in this; it is rather the cat's instinctive urge to know that is kindled inside the recipient's mind. What, then, is it that the artist hides behind his DIY-center mirrors and mirror backing foils? Objects that already exist in our universe and whose meanings are easily described: Ikea shelves, a wall, paintings by Piet Mondrian. But in Tagwerker's parallel universe, these ob-jects are subjected to shifts of meaning.

The Structure of the System

This Ikea shelf, whose simple grid design of clip-together shelving stayed with the artist, will no longer accommodate any books or cups; it's as if the structure would repel anything that could bring the touch of an insensitive hand onto its surfaces. From a formal perspective, we are left with the minimal art "grid" (also reminiscent of architecture) that takes reference to nothing but itself. But we have already stepped behind the mirror, and there, "mirror.grid" transforms the one-time clip-together shelving into a map which structures space in the vein of Al-ice's chessboard. This parallel cosmos is meticulously arranged and mapped; visitors can clearly determine their position but are left without a definition of themselves. Just as in the mirror wood, they have forfeited their names (and along with them their individuality whose construction is shaken once again) and its function as a coordinate of a superior structured system dissolves. Biology and psychology have ceded their reign to mathematics and physics who describe the macrocosm without filling their heads with useless knowledge on the petty details of "human" existence. Behind the mirror-backed foil, desire takes on a form that attempts to transcend the humanly possible, its microscopic view, and transience, that aims to prevail over natural chaos with the help of a perfect plan and an absolute structure - and in this realm, it’s all going to come true.

Individual Space

The mirror backing foil, too, that Gerold Tagwerker attaches directly to walls, can become "all soft like gauze" and when we pass through, we are in no way trapped in-between the back of the mirror and the wall - the wall has immediately transformed into a "sort of mist." An alchemistic masterpiece: With the simple ingredient of the mirror, the wall is dissolved not only on the aesthetic level, but also within the viewer's personal sphere of imagination. The artist pushes us into an empty mirror cosmos which can freely be modeled and shaped to our will; the wall installations become the counter model of "mirror.grid" insofar as they open up a radically personal space, which is not subject to any external principle and is to be newly invented in the wake of the preceding blows of uncertainty.

A further variety of the "casino" emerged in the glass facade of REMISE Bludenz. For his mirror installation "connections," Tagwerker first used the reflecting mate-rial in the context of architecture. Several window segments were covered with mirror backing foil to the effect that a new, arrhythmic structure now marked the facade - the external spaces surrounding the REMISE partially turned up again as opaque objects integrated into the facade's architectural design, while the non-reflecting window segments continued to allow insight into interior spaces. As we are talking about highly reflective sunscreens, the view from inside was colored as it would be from behind sunglasses, but one could nevertheless look out the windows. The artist left the institution's actual exhibition space empty and called this non-installation "a white cube": The much-cited shrine of art presenta-tion thus kept a promise on a very real, three-dimensional level which is also in-herent in the wall installations - a space in which there are no external instruc-tions and where individuals are allowed to remain "undivided" without the neces-sities of consensus or mediation.

Idea Without Context

Since the 50’s, Piet Mondrian's "art of pure relations" has been sampled, so to speak, in countless manifestations of design and it can hardly be discussed with-out paying heed to this aspect of the history of their reception. In yet another ar-tistic endeavor, Tagwerker seems to aim for the rehabilitation of Mondrian's work, which he must feel close to due to its concept of Concrete Art and proportionality. He reconstructs it both in terms of format and composition in a one-to-one ratio with the help of mirror panels. The "mondrian.mirrors" resulting from this proce-dure are hung at eye-level - not at the height of bathroom mirrors, but of mu-seum exhibits. Their reflective contact surface appears as an opened "fourth wall," integrating the viewer's (cut up) likeness into the composition of color fields as a further "equivalent plastic element." It breaks up the surrounding exhibition space, though. It thus becomes possible to enter into the space of art itself, which cannot exist within the ever contextualizing here and now. In Tagwerker's parallel universe, the air is clear and pure ideas prevail in the realm of pure aesthetics. The subject does not receive the shadows cast by entities in Plato's Cave Alle-gory, it is confronted with the entities themselves who have no names and do not fall apart into signifier and signified.

After these experiences behind mirrors are over, one may speculate on the art-ist's desire, the one thing he is able to conceal so well behind materials and aes-thetic references. It seems he is driven by a wish for clear separation of levels of reality, to which special spaces are assigned within the totality of his mirror uni-verse. There, they are allowed to exist as "absolute": The error-free system with-out object, the radical subjectivity without a counterpart, and the pure idea with-out manifestation. The mixing of levels in the world in front of the mirror must make him feel uneasy, and he reacts to it with a philosophical order whose struc-ture implies that the "other" can make no appearance - in his relation to reality and in his counter constructions, which can only count as absolute so long as they refrain from entering into dialogue, the artist remains isolated. Viewers are condemned to remain silent when they return from Tagwerker's land of mirrors. They have encountered an artistic practice, which if carried to its logical extreme, breaks with the commonplace assumption that art is communication.

Language of Ambivalence

Already French cave paintings show first color areas on a grid of squares that would have delighted Piet Mondrian. One can assume that here, grids exclusively served as a system of arrangement and were not a means of expression in themselves, which is how Concrete Art and above all minimal art discovered and used them. The mirror cosmos of Tagwerker's "mirror.grid" shows the grid to rep-resent a strategy of absolute control, a one hundred percent exact concept that can be continued eternally, to which neither errors nor variance are inherent. In its basic modes, however, it not only stands for a conceptual possibility to ar-range forms but also a representation of a minimum of order itself.

Set Patterns and Mirrors

If we focus on the element in "mirror.grid" from which its title was derived ("to stay in front of the mirror," so to speak), the first thing that meets the eye is the de-signer's remarkable skill: The three-dimensional boltless grid is both simple and convincing; along with being an aesthetically functional arrangement, it produces stability and infinite expandability. The shelving surfaces, which are usually lined with white or black laminate, were covered with aluminized veneer, thus creating a reflective surface. On a formal level, this operation is also an intervention with the structure of the grid itself. On the one hand, the grid's theoretical possibility of infinite expandability is rendered visible: Each individual reflecting element repro-duces its structure to the far ends of all possible lines of vision, something that amounts to disappearing into the mirror. On the other hand, the order of the grid is called into question on a very real level: Its likeness adheres to the laws of perspective in a different way than the object; in the mirror, variance and distortion take place but they have no place in the concept of the grid. Thus, the endless repetition which has entered the eye of the beholder is put on a level with noth-ingness, and the one-time operational Ikea shelving looses its steadfastness by giving up adhesion to the ground by reflecting and expanding upwards and side-ways into space as a structure growing rampantly in perspective. It becomes clear that the strategy of absolute control needs different materials if it is to suc-ceed; it could otherwise be effective as a strategy for spreading a feeling of uncertainty.

Tagwerker’s floor pieces use the arrangement of the grid as a point of departure as well: From simple slats, the artist has built a structure, which also serves as the sculpture's base. On the wooden coordinates he has thus created, the artist then lays perfectly fitting standard sized aluminum mirrors, which subsequently are bent with the help of the slat construction. This is repeated until they hardly reflect anything that would make the space above them recognizable; reflection of light and casting of shadows (drapery is a word that comes to mind) merge into each other so as to create a visual impression that viewers will most likely asso-ciate with paintings. Thus, the grounded system of longitudinal and cross beams once more appears helpless in the face of the possibilities of the mirror which seems to hover above them, telling a tale of forms of perception quite different from the ones the "grid" could lay claim to.

Patterns and Light

With "cube.cool white," Gerold Tagwerker has resorted to standard ceiling lamps with white acrylic glass covering. Clearly defined, functional source material, which does not counter the three-dimensional cube grid but willingly represents it - so long as no fluorescent tube lights up. It is the material of light that, just as the mirror, generates the ambivalence of the grid: absolute control versus abso-lute irritation. Thus, this work shows a brilliant movement of flashes of light taking shape along the axes, which seems to set the cube rotating - movement is the next aspect able to suspend the control instrument of the grid.

Urban Grids

Within minimal art, the grid has already been interpreted as a continuation of the ornament; in the context of architecture, this reading has yet to be explored. Gerold Tagwerker's "urban studies" (pictures of high-rise facades), however, ex-plicitly make this point by choosing a perspective overlooking the functionality of the basic architectural grid and setting a focus on its ornamental aspect, which does not serve a purpose beyond the use of form. The artist "was taking snap-shots of the sky" (emulating what countless tourists do); this commonplace, run-of-the-mill view has produced photographs which remain silent on the steadfastness and rootedness of high-rise buildings and instead show them as celestial bodies curved in perspective - but all the while, through this approach these "urban studies," which are not hung on walls but are presented as objects leaning against them, are invested with a strong "grounding" and almost aggressively confront viewers with their more graphic than photographic view that could never take place in the real world. Here, the grid, which actually serves to secure the statics of the building and "meaningful" arrangement, has lost its regularity as well as its role of representing an organizing principle (itself worthy of critical dis-cussion). Tagwerker not only upvalues (the not always excellent) architecture by deliberately showing facade structures only partially and exploring the ornamen-tal potential of the remaining "sculpture" on a two-dimensional level. Thus, he also drives viewers from this architectural urban context by making it impossible for them to enter high-rise buildings by glancing inside, to see themselves in pro-portion to them or even to reconstruct a cartographic context that links the build-ings. Visitors are confined to looking at disconnected ornamental structures, which exist independent of them, governed by laws they cannot formulate.

The urban research project "housing/Bregenz" (the artist conducted a similarly specific investigation at Friedrichshafen) illustrated the principles of "urban stud-ies" directly within public spaces: Tagwerker documented the modernistic archi-tecture of the respective city in the familiar manner and installed large-size views of highrise apartment buildings on billboards. Passersby caught unawares were compelled to identify the billboards not only as an artistic contribution but also were faced with a critical description of their own urban surroundings. The spa-tially relocated mirror, as it were, projected an image of anonymous architecture it had captured at another place directly into the city and made it impossible to close one's eyes to the revelation that such concepts of architecture (and society) still, as ever, set the tone of urban reality.

Likewise, "nightpieces," which were produced in Chicago and are presented as framed photographs or a slide projection installation, also address the structures of modern high-rise architecture. Here, however, it is not the choice of perspective which suspends the moment of the grid but it is once more light (just as with "cube.cool white”). Only in rare instances will all the windows of a high-rise build-ing light up; the pattern may be accounted for by security concerns or the very real necessity of late-night work hours inside these buildings. In any case, "night-pieces" renders a structural arrangement invisible; not just as a result of the real darkness outside but above all because light shining from individual windows is "superimposed" on the surface of the facade. New structures take shape based on the arbitrary rhythm of interior lighting, behind which viewers can no more discern an order of arrangement than in the half-opened doors of an Advent calen-dar. All they can do is immerse themselves in the big-city feeling of melancholy and loneliness, which assumes community, warmth, and "meaning" to reside be-hind those lit windows - a notion sharply contrasting the "outside" world experi-ence of the streets of metropolises such as Chicago. This frame of mind is inten-sified even more when "nightpieces" is shown as an installation. The monotonous clicking of slide projectors and the viewer´s perception of being "caught," in per-son, in the empty grid of the steel skeleton perhaps can tempt them to cite Rilke's "Panther": "and behind the bars, no world." The manner in which "nightpieces" is presented makes it possible to partake in the melancholy and loneliness which is experienced as either romantic or frightful, depending on one's state of mind. Just as with Rilke, the cage of the steel skeleton turns into a metaphor of psychology: The world and all it has to offer remains "outside," outside of the self, and can only be witnessed from afar. Ever more slides depicting highrise buildings at night enter the viewer's pupil but each of them sinks in, "reaches the heart, and dies” without ever reaching a state of verbal expression.

Thus, Gerold Tagwerker's artistic approach to the grid once more evokes speechlessness. The representation of an organizing principle whose syntax is revealed to one and all is faced with opponents time and again (the mirror, light, movement, omissions, and ornament) which not only lever them out but virtually transform them into their own opposites. This "opposite" cannot be put into words; language itself would be rendered powerless in the face of the said an-tagonists and its answer would be speechlessness.

Self-Authorization From the Hips

Gerold Tagwerker's photographic works, above all, are the product of an attempt to come to grips with modernistic architecture - he is not dealing with the great and successful icons of architecture but with the "average," "typical," "main-stream" designs we are confronted within our urban surroundings every day.

Tagwerker's "interiors" show interior views of public (or semi-public) venues the artist has visited in Chicago - the metropolis that embodies the concept of the American city like no other. On account of its history and structure, Chicago stands as the per se American metropolis and is referred to as such in the field of urban research. In the 19th century, America’s obsession with transferring the "aura" of Europe's classical antiquity to its new cities manifested itself here, too, implying that urban prestige buildings (which no longer took the form of cathedrals but of highrise buildings) already at their beginnings were designed to include the imaginary dimension of a future ruin whose grandeur gives evidence of their golden heyday. "Nostalgia for the Future" is the phrase Marco d'Eramo coined in his book "The Pig and the Skyscraper,” and Gerold Tagwerker's architectural photographs also give a sense of this inversed timeline of nostalgia - perhaps because he is able to critically analyze the objects of his images today while future ruins will leave no room either for examination from a distance or individual criticism of petrified manifestations of modernistic concepts.

Angles on the Mainstream

In selecting the motifs of his pictures, the artist follows his own "attraction," which to him pertains to the period between 1945 and 1975, as opposed to mainstream aesthetics. He sees the mediocrity of forms visible all over the city as represent-ing one more epitome - the longing for a modern society that commands func-tional objects and architecture, with the help of which it will be able to apply a practical structure to life and secure its future survival (including the ruins that go with it). In giving away his own attractedness, the artist also stands in for and displays temptability and manipulability in the face of the promises of such "epitomes," which he overcomes, so to speak, by way of his artistic approach to the objects of his desire and their reformulation into something new (something that could stand as a model for presentday strategies of selfcontemplation of individuals). Accordingly, Tagwerker's photographs of interiors scrutinize the claim of modernistic concepts that spark so much fascination on the aesthetic level (with himself, too) but should be met with a critical attitude when it comes to political and social matters.

The staircase inside the library building on the Illinois Institute of Technology campus, the Lobby at Atrium Office Plaza, Henry Ford Centennial Library... all these motifs have one thing in common, namely that they are designed both as prestige buildings and as places which are frequented - at least by certain sec-tions of the population - on a daily basis and must meet demands of functionality; just as architecture "users," in turn, are required to function in accordance with their laws, even if there is no "Quiet Study Area" sign telling them precisely how they are expected to conduct themselves. Apart from that, taking photographs of buildings isn't as easy as it was before September 11th, 2001. The artist, there-fore, is forced to work "undercover" if he wants to explore these interior spaces. In this context, however, Tagwerker does not set out to put architecture in the limelight.

Quite to the contrary, his "interiors" precisely do not stand for the staged view of the photographer but are, so to speak, "shot from the hip"; unusual perspectives, which in part appear as collages of several spatial situations, refuse to go along with the dominating gesture of architecture. In its place, attention is focused on the designs of modules of space such as sculptural stairwells or grid-like arrangements of lighting fixtures. Thus, the purported functionality and smoothness of utility rooms turn out to be something that, from one aesthetic platform to the next, proliferates in a rhizome-like fashion - arbitrarily and manipu-lative at the same time.

Tagwerker himself goes as far as to call into question whether architecture can ever "function" at all. In the vein of this artistic skepticism, a deeply felt reluctance is formulated about claims as to the development of systems in which humans in general could function and matters concerning social life could be optimally struc-tured and organized.

This reluctance is bound to draw on a notion of freedom and individuality which, most likely, must be termed "old European": Gerold Tagwerker places emphasis on his references to US cultural practices of a certain era (such as visual arts, architecture, and design), but in doing so, he is all the time carrying the heritage of European humanism which does comprise the concepts of the self introduced by Descartes and Hegel; he intends to resist all kinds of attempts to take him in, and perceives the freedom of individuals to be the greatest good. Never will we hear Gerold Tagwerker striking a lofty, emotive tone to speculate on the possibili-ties of art, and only in rare instances do we find traces of emotionalism in his work; if we think his work out fully, however, namely its insistence not to relinquish control of the subject, we see shining through an emotionally charged stance on individuality in the best meaning of the expression, which sends to-day's theories of communication and systems theories packing. Just as the artist points to the fact that urban structures and prestigious architecture are still, prac-tically, as ever, marked by modernistic discourse (despite denials from current theoretical approaches), he at the same time counters his argument by asserting that the self is still, as ever, an authority which can move through contemporary urban environments to observe, evaluate, and remain in denial.

An Agent as an Alter Ego

Agent Lemmy Caution aka Eddie Constantine is an embodiment of this kind of ego. In Jean-Luc Godard's film "Alphaville," he walks and maps the streets of 1960’s Paris, moving through the imagery of a type of urban modernism which bears striking similarity to Tagwerker's view of these shapes. In his video "alphaville/zero2," Tagwerker has sampled and collaged images from the original film so as to let the agent take photographs of Godard's cityscapes, and in turn set up an archive of urban modernism. Thus, the film sequence the artist has edited and looped constructs a narrative layer within his own work: The investigating under-cover agent, who has no clue as to what he is investigating and shoots pictures at random, turns into the artists charming alter ego, acting from necessity without knowing the goal of his mission yet. In this context, it is interesting to note that the founders of the Chicago School of Urban Ethnography saw themselves as "detectives" on a secret mission when they engaged in their sociological field research. From this, it appears that the artist, the investigator, and the scientist are involved in partially identical constructions of identity when drawing up critical accounts of urban phenomena.

Within the group of works he calls "interiors," Gerold Tagwerker first and foremost seems occupied with the definition of the contemporary artistic self in confronta-tion with urban, modernistic concepts. Volunteering his own manipulability, he at first remains a flâneur, aimlessly roaming an urban reality which seems to render any "assessment of the subject" impossible.

Ultimately, however, he is not an agent of the likes of Lemmy Caution traveling on a secret mission, nor is he an urban researcher commissioned to engage in field research; he is an artist with the capacity to opt for angles of perception, messages, and final products - which involves the act of self-authorization in the best sense: The artistic subject has acquired sufficient stability to consciously allow its own loss of control to take place. It takes the city as a space of confron-tation, it takes sauntering about without purpose, and it takes the accompanying loss of self-awareness. Only in the wake of this experience does the construction of a critical, discerning individuality through artistic production become viable and visible, one that doesn't run the risk of falling prey to ubiquitous simulations.

On third sight, Gerold Tagwerker’s artistic practice distinguishes itself by the almost programmatic use of specific means which are generally associated with the exercise of control: Light by which the darkness and all its connotations can be banished; creating rhythm that lets sequences acquire structure and convey meaning; the mirror in front of which, first and foremost, the identity of the self is ascertained; the grid as a perfect organizing principle of forms; perspective which helps a subject decide which point of view is appropriate and "true." Through various aesthetic interventions the artist manages to scrutinize all these instru-ments of control and even to reformulate them in the image of their own oppo-sites. The unease experienced by viewers perceiving his objects leads to reac-tions which cannot be described on the aesthetic level but rather pertain to the fields of psychology, sociology, philosophy, communications science, or linguis-tics. Along these lines, the individual's experience of losing control becomes an intellectual and emotional challenge, which - following the shaking-up of various (sham) commitments - is also capable of provoking joyful reactions. The cause for this being that from Gerold Tagwerker's works, viewers catch a whiff of the scent of freedom, which emanates from the expansion of the possibilities of hu-man perception. This freedom could serve as a starting point for drawing up new strategies of (not merely artistic) individuality constructed beyond fearsome bounds and knowledge, which is no longer verified and has congealed into conventions.

Dagrun Hintze - "The Third Sight: Loosing Control as a Strategy”
in: "Gerold Tagwerker - zero 1_2_3_4_5”, Revolver Books, Frankfurt 2004


Der dritte Blick: Kontrollverlust als Strategie ↑ top

Auf den ersten Blick verlangt die Arbeit Gerold Tagwerkers eine Besprechung vor den Formulierungen der Minimal Art, auf die auch der Künstler selbst sich immer wieder bezieht; auf den zweiten Blick entäußert seine Arbeit nicht nur Bestätigung, sondern auch spielerische Verfremdung und Umdeutung derselben (wie es 40 Jahre "danach" gar nicht anders sein könnte), ohne jedoch eine kritische Analyse oder gar Dekonstruktion zu bemühen. Im gegenwärtigen Diskurs der künstlerischen Praxis als Identitätskonstruktion und Erkenntnisproduktion finden die minimalistischen Überzeugungen nur schwer einen Platz; ihre Verweigerung von Narration, Referenz und Aura scheint im gegenwärtigen Wahrnehmungskontext nicht mehr konsequent zu funktionieren, und auch ihr Bruch mit den europäischen Traditionen mutet derzeit fast nostalgisch an. Vor diesem Hintergrund wird ein "dritter Blick" auf Tagwerkers Arbeit möglich, der das Experiment versuchen will, so zu tun, als hätte es die 60er Jahre nie gegeben, und stattdessen eine Annäherung im kulturwissenschaftlichen Sinne vornehmen möchte. Dabei sollen fünf zentrale Aspekte untersucht werden, die zwar durchaus zum minimalistischen Diskurs gehören, jedoch auch jenseits davon Bedeutung produzieren: das Licht, der Rhythmus, der Spiegel, das Raster und die Perspektive.

Die Abschaffung des Schattens

Trotz aller physikalischen Erkenntniserweiterungen bleibt das Phänomen Licht ein eigentümliches Rätsel. Sein Geheimnis, das heute vor allem in seiner gleichzeitigen Existenz als Teilchen und Welle liegt, beginnt schon in den religiösen Schöpfungsmythen. Im ersten Kapitel der Genesis heißt es zum Beispiel: "Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, daß das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis." Erstaunlicherweise bleibt in dieser Erzählung das Licht zunächst Teil der Finsternis - es co-existiert offensichtlich mit der Dunkelheit - bis Gott es von ihr trennt und bekanntlich dem Tag zuordnet. Vor dieser Trennung gilt jedoch ein Zustand, in dem Licht und Dunkelheit sich nicht ausschließen.

Gerold Tagwerker ist nun alles andere als ein creator ex nihilo, schließlich greift er bei seiner Arbeit auf vorgefundenes, industriell gefertigtes Material zurück, das er einer subjektiven Selektion unterzieht. Seine Lichtskulpturen und -installationen besetzen das Licht als kunstfähiges Material, das Tagwerkers formale Konstruktionen nicht nur rhythmisch erleuchtet und so in ihren Einzelteilen lesbar macht, sondern gleichzeitig über ihre konkrete Form hinausweist und den Aspekt des Magischen einführt, der - bei aller physikalischen Nachvollziehbarkeit der Schaltkreise - im Moment des einlassenden Betrachtens passiert. War im Schöpfungsmythos die Scheidung von Tag und Nacht ein Akt der Kontrolle - die Austreibung des vorigen "ambivalenten" Zustands, die Bezeichnung der dualen Prinzipien - führen uns Lichtskulpturen wie "11x58W/133.flash" oder "cube.cool white" zurück in den nicht-kontrollierbaren Raum der friedlichen Co-Existenz von Licht und Dunkel, in den quasi vorsprachlichen Bezirk von angenommenen Gegensätzen, die jedoch unabhängig voneinander bleiben und damit ihre Gegensätzlichkeit verlieren. Denn Gerold Tagwerkers Licht-Material funktioniert nicht in Abhängigkeit zu dem Helligkeitsgrad der Umgebung, es funktioniert je nach Helligkeitsgrad einfach nur anders.

Speziell Leuchtstoffröhren aller Art sind aus modernen Städten nicht mehr wegzudenken, sie sind gleichsam zum Zeichen für städtisches Leben überhaupt geworden. Und so finden sich Licht-Installationen wie "13x58W/133.flash" oder "11x58W/840.flash" bevorzugt im öffentlichen Raum (im Kontext von Natur wären sie sinnlos), wo sie Tag und Nacht ihre unterschiedlichen Möglichkeiten vorführen. Sobald Tagwerkers Licht-Arbeiten in architektonischen Innenräumen installiert werden, scheinen sie jene sofort austreiben zu wollen, indem sie ihnen ihre Gültigkeit absprechen: Noch der stärkste Beweis einer Innenraumstruktur wird in solcher Konfrontation zum irritierenden Verweis auf Struktur und Oberfläche eines Außenraums, der immer urban zu deuten ist. Die Installation "10x58W/840.flash-o.p." zum Beispiel, die der Künstler für den Förderverein Aktuelle Kunst in Münster realisierte, besetzte den eigentlichen Ausstellungsraum mit ihren nervös flackernden Neonröhren so konsequent um, daß der Besucher jegliches Gefühl für einen geschützten Raum der Kunst verlor und sich atmosphärisch eher an beklemmende Momente in einer Tiefgarage oder Unterführung erinnert fühlte. Selbstverständlich blieben auch die Beschwerden der Anwohner nicht aus: Durch die nicht abgehängten Fenster drang das Neonlicht nach außen - und in einem Wohnviertel sind solche Verweise auf typische Großstadtorte mit all ihren Konnotationen nicht in die Wahrnehmung zu integrieren und deshalb unerwünscht. Leuchtstoffröhren und Urbanität scheinen einander also beinahe zwangsläufig zu bedingen; kein Wunder, wenn man bedenkt, daß die öffentliche Beleuchtung seit fast dreihundert Jahren ganz konkret die urbanen kulturellen Praktiken beeinflußt.

Von der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts an ist die Straßenbeleuchtung in den europäischen Metropolen dokumentiert; so installierten in dieser Zeit zum Beispiel Paris, Berlin und Leipzig Öllampen im großen Stil, was enorme Konsequenzen für das Nachtleben bedeutete. Der Einsatz von Gaslicht als Straßenbeleuchtung (seit 1820) findet seinen Niederschlag sogar in einer ganzen literarischen Gattung, den "gaslight novels": Kriminal- und Schauerromanen, die ihre Spannung aus dem "Dazwischen", dem Halbdunkel und seinen flackernden Schatten beziehen, das durch die neue Beleuchtungsform überhaupt erst geschaffen wurde. Mehr als hundert Jahre später texten Kraftwerk "Neon Licht, schimmerndes Neon Licht / Und wenn die Nacht anbricht / Ist diese Stadt aus Licht" - diese Zeilen scheinen direkt auf Tagwerkers "nightpieces" zu verweisen. In den Aufnahmen von Hochhausfassaden im nächtlichen Chicago hat die Realität von urbaner Architektur ihre Überzeugungskraft verloren; stattdessen treten die Wolkenkratzer dem Betrachter als eigenständige Lichtskulpturen entgegen und erzeugen die Melancholie einer einsamen Großstadterfahrung (die sich der Natur-Erfahrung an die Seite stellt - ein zutiefst romantisches Motiv also, das sich hier aus Bild und Atmosphäre zugleich konstruiert).

So wird die Stadt mit ihrer Hochhausarchitektur einerseits durch Innen- und Außenbeleuchtung dem Bewohner nachts überhaupt erst zugänglich gemacht, andererseits gewinnt sie einen neuen (symbolischen) Urzustand von Dunkelheit, der durch zivilisatorische Beleuchtungspraxis nicht aufgehoben, sondern de facto nach-geschaffen, re-konstruiert wird.

Anders als bei den Photographien der "nightpieces" bricht Gerold Tagwerker in seinen Licht-Installationen mit dem fast zweihundert Jahre alten (kulturellen) Verständnis einer gegenseitigen Abhängigkeit von städtischem Hell und Dunkel, das - wie bei den "gaslight novels - die urbane Praxis entscheidend geprägt hat und bestimmte "Typen" des Stadtbewohners, die mit dem erstarkenden Bewußtsein von Individualität ausgestattet waren, mitproduzierte. Seine Licht-Arbeiten stellen eben diese Typen und das mit ihnen einhergehende Individualitätskonzept konsequent in Frage, indem sie dem Betrachter (zumindest in dessen Wahrnehmung) nicht nur Beleuchtung sondern vor allem den Schatten verweigern, und zwar den eigenen ebenso wie die "dunkle Stelle", die dem Stadtbewohner seit der Einführung des Gaslichts vertraut ist. Der eigene Schatten ist (ähnlich wie das Spiegelbild) Beweis der eigenen Existenz und Zeichen dafür, daß diese Existenz Konsequenzen hat für den sie umgebenden Raum, den der Schatten markiert. Er beinhaltet also Selbst- und Weltvergewisserung zugleich. Wenn wir Gerold Tagwerkers Licht-Installationen betrachten, sehen wir weder den eigenen noch den Schatten des Anderen - das Licht steht in keiner Referenz zu uns, es steht für sich selbst und für den urbanen Außenraum. In diesem war Beleuchtung eine entscheidende Voraussetzung für die Erfahrung der städtischen Nacht gewesen, die dadurch trotzdem dunkler wurde als die Nacht in der "freien Natur". Das Gaslicht hatte das Flackern in den öffentlichen Raum geholt und so erst den vom Licht nicht getroffenen Raum beschrieben, an dem dunkle Phantasien und Möglichkeiten angreifen können. Wir haben uns diese sich bedingende Dualität, die nur eine Variation der zitierten Dualität aus der Genesis darstellt, längst (kulturell und psychologisch) zu eigen gemacht:"Licht und Schatten muß es geben, soll das Bild vollendet sein...". Mit dem Besitz dieser Poesiealbum-Formulierung sind wir im Besitz von Kontrolle. Gerold Tagwerker hingegen vollendet kein Bild, er raubt uns die gemütliche Denkbarkeit der Dualität und führt uns mit seinen Licht-Installationen vor, daß dieses Prinzip eine Scheinkonstruktion bleibt, die schon im 19. Jahrhundert nur kurzfristig als Erklärungsmodell für urbanes Leben funktionierte. In der Konfrontation mit der gegenwärtigen Stadt, die gemeinhin als nicht lesbare Struktur identifiziert wird, ist dieses Erklärungsmodell zum Scheitern verurteilt. Der Künstler selbst scheint in seiner Auseinandersetzung mit Stadt dazu gekommen zu sein, die diffuse Permanenz von nicht-vertreibbarer und nicht-verstärkbarer "Dunkelheit" zu akzeptieren, die keinen weiteren Schattenwurf mehr benötigt, um Vollständigkeit zu gewinnen.

Sein Licht ist zweckfrei und provoziert keine urbane Möglichkeit von Konsum; es spielt keine Rolle, ob es tags oder nachts leuchtet, denn es bezieht sich ausschließlich auf einen städtischen Zustand, der unabhängig vom Helligkeitsgrad fortdauert; und es bedeutet nur sich selbst und die Urbanität, die es zugleich bezeichnet und produziert. Vor diesem Hintergrund wird Tagwerkers künstlerischer Einsatz von Leuchtstoffröhren - frei nach Richard Sennet - zu einer mahnenden Liebeserklärung an die Großstadt selbst, die in die Krise gerät, wenn Maßstäbe des individuell Denk- und Kontrollierbaren auf sie angewandt werden, und die Urbanität zurückgewinnt, wenn ihre Bewohner die Konfrontation mit der Stadt als Kontrollverlust und Herausforderung zulassen können.

Der Rhythmus des Zufalls

Wer in den 70er- oder frühen 80er-Jahren aufgewachsen ist, erinnert sich vielleicht an ein elektronisches Spielzeug jener Zeit namens "Senso". Senso war ein ufo-ähnliches Objekt, auf dessen kreisförmiger Oberfläche vier erleuchtbare Flächen in den Farben rot, blau, gelb und grün installiert waren. Nach einem Zufallsprinzip gab das Spielzeug eine Farbfolge vor, indem es die vier Flächen in verschiedener Reihenfolge aufleuchten ließ. Die Aufgabe des Spielers war es, die immer länger werdenden Reihenfolgen durch das Drücken der jeweiligen Farbfelder exakt zu reproduzieren. Im Gegensatz zur Wort-Übersetzung des Spielzeugnamens ("Ich fühle") trainierte Senso ausschließlich das visuelle Gedächtnis des Spielers und die Fähigkeit, willkürliche Abfolgen spontan auswendig zu lernen. Die Lust bei erfolgreicher Benutzung ergab sich aus der Erfahrung von Kontrolle über das Gerät, das dem spielenden Subjekt unterlegen blieb. Beim Scheitern an der Reproduktion der Farbfolgen entstand ein frustrierendes Gefühl von Kontrollverlust über die siegreiche Maschine, die dann nur noch durch Zerstörung zu unterwerfen war; was ein Grund dafür sein mag, daß man alte Sensos kaum noch findet.

Die (Licht-)Rhythmen in Gerold Tagwerkers Installationen provozieren parallele Erfahrungen, wobei sie - anders als Senso - keine bewußte Interaktion des Betrachters herausfordern. Bei ihrer Programmierung bedient sich der Künstler zweier Prinzipien, dem des Zufalls und dem der Gesetzmäßigkeit; wobei das Prinzip des Zufalls sich weiter unterteilen ließe in die "analytische Zufallsfolge" (Ursprung einer Sequenz ist bekannt, nur die Wirkung ist "zufällig") und die "synthetische Zufallsfolge" (durch "echten" Zufallsgenerator).

Determinismus und Zufall

In der Arbeit "13x58W/133.flash", die 2003 am Vorplatz der REMISE Bludenz installiert wurde, ist das kurze Aufleuchten der 13 linear angeordneten Leuchtstoffröhren vollständig durchchoreographiert: Für einige Minuten flackern jeweils unterschiedliche Gruppen von zwei bis vier Röhren auf, bis alle Röhren schließlich gleichzeitig angesteuert werden und für einen Moment als geschlossene Reihe erscheinen. Diese Sequenzen werden geloopt und endlos wiederholt - sie entsprechen also einem nachvollziehbaren Plan. Im Gegensatz dazu beginnt das Programm bei "11x58W/133.flash" mit einer einminütigen komponierten Licht-Bewegung um die Achse des Lusters und bricht dann aus in eine 30sekündige Zufallssequenz, in der einzelne Röhren willkürlich angesteuert werden, um dann wieder mit dem choreographierten Part neu zu beginnen.

In der "deterministischen" Komposition der erstgenannten Arbeit behält der Künstler die vollständige Kontrolle über das jeweilige momentane Erscheinungsbild seiner Installation. Die Choreographie läßt sich zwar nicht auf den ersten Blick entschlüsseln, prägt sich jedoch nach und nach ein. Tagwerker selbst vergleicht sie mit einer bass-line im Jazz - und dieser explizite Verweis aufs Musikalische ermöglicht vielleicht erst eine Begründung dafür, daß die Betrachtung von "13x58W/133.flash" zu ähnlichen Frustrationen führen kann wie die Beschäftigung mit dem oben beschriebenen Kinderspielzeug: Wer jemals ein Musikinstrument mit Metronom geübt hat, wird sich an die Ohnmacht erinnern, die das ungerührt weitertickende Gerät bei dem musizierenden Menschen auslösen kann. Auf die somit künstlerische wie künstliche, präzise Vorgabe eines gleichmäßigen Beats und identisch wiederholter Abfolgen, besitzt der (den Naturgesetzen unterworfene) Betrachter eigentlich nur zwei Möglichkeiten der Reaktion: Er kann versuchen, als Subjekt die Kontrolle zu behalten, indem er der Perfektion wahrnehmungstechnisch quasi "hinterherläuft", sie im Kopf zu reproduzieren sucht, und in der Regel scheitert. Oder er gibt sich deren Überlegenheit hin und läßt zu, daß immergleiche Lichtfolgen im immergleichen Rhythmus unreflektiert in seinen Bewußtseinszustand eingreifen und das Subjekt kurzfristig verdrängen.

Bei Licht-Skulpturen wie "11x58W/133.flash" gibt Gerold Tagwerker - wie oben bereits angesprochen - hingegen dem Zufall Raum, d.h. die Leuchtstoffröhren werden sequenzweise per Zufallsgenerator angesteuert, so daß die Lichtfolgen streckenweise weder für den Betrachter noch für den Künstler selbst zu überschauen oder gar vorherzusagen sind. Aber in der Luster-Arbeit Tagwerkers existiert neben der "synthetischen Zufallsfolge" eben auch die geplante Choreographie. Und hinter dieser Konstruktion aus Freigabe und Beherrschung des Werkes durch den Künstler scheint das philosophische Konzept auf, das besagt, daß man der Realität am ehesten gerecht wird, wenn man ihr eine "Mischung" aus Plan und Willkür, aus Determinismus und Zufall zubilligt. (In diesem Zusammenhang wird provokanterweise eine gewisse Menge an Zufall auch zum Merkmal der Individualität, deren traditionell festgeschriebene Strategien Gerold Tagwerker bereits durch seinen Umgang mit dem Material "Licht" in Frage stellt.)

Dabei versucht die Luster-Arbeit nicht, eine Synthese aus Determinismus und Zufall zu behaupten, sondern führt dem Betrachter beide als unterschiedene "Existenzformen" vor, die - ähnlich wie bei Tagwerkers Abschaffung der Beziehung zwischen Licht und Dunkelheit - kein Gegensatzpaar bilden und einander weder ausschließen noch bedingen. Wie könnten sie auch: Ein Plan mag erinnerbar bleiben; der Zufall hat jedoch kein Gedächtnis, er passiert als das immer wieder Neue und Nicht-Notwendige und setzt sich in kein Verhältnis zum Davor oder Danach. Diese Co-Existenz zweier Wirklichkeitsprinzipien erfordert beim Künstler wie beim Betrachter konsequentes Denken (das nicht nach Auflösung von Differenz im harmonisierenden Konsens trachtet) und flexible Annahme des Außen - nicht zugleich, nicht umgekehrt, nicht dadurch bedingt, sondern einfach nur nebeneinander.

Analyse und Magie

Die Licht-Skulptur "cube.cool white" besetzt den Raum "zwischen" den beiden beschriebenen Arbeiten. Sie funktioniert, wie die Bludenzer Installation, nach einem komponierten Beleuchtungsrhythmus, der sich hier jedoch nicht einprägt und den der Betrachter nicht aufzuschlüsseln vermag - die Wirkung ist also der Zufallssequenz in der Luster-Arbeit vergleichbar. In jedem Fall aber durchläuft derjenige, der sich auf den Würfel einläßt (der in seinem Da-Stehen an Tiefkühltruhen ebenso erinnert wie an Lounge-Möbel aus der Welt Stanley Kubricks), verschiedene "Bewußtseinszustände": Zunächst versucht er analytisch, das "Gesetz" hinter dem rhythmischen Aufleuchten der Würfelflächen zu entdecken, und ertappt sich schnell bei einem Quiz mit sich selbst, das erraten will, wo die nächste Röhre anspringt. Es klappt nie. Aber bevor der Betrachter sich darüber ärgern könnte, passiert der magische Moment, in dem der ganze Cube kurzfristig illuminiert ist - und formal wie substantiell in den Bereich transzendiert, für den wir heute keine Begriffe haben. Wenn man - entgegen aller physikalischen Nachvollziehbarkeit - kurz davor ist, das Wort "Wunder" zu denken, ist das ganze Licht schon wieder aus. Der nirgends erhellte Würfel steht da, als wäre nichts geschehen, als wäre die "andere Sphäre" unmöglich. Dabei hat sie den Betrachter schon erwischt. "Senso" ist in dem Wortsinne eingetreten, den das Spielzeug nie erfüllen konnte. Denn man ist gezwungen "loszulassen" im Angesicht des "cube.cool white", die Ratio zugunsten des spontanen emotionalen Erlebens abzuschalten. Dabei reduziert sich das wahrnehmende Subjekt auf den Blick, der alles annimmt, was das Außen vorgibt, und dieser Blick existiert nicht in der Zeit. So gelingt es dem Künstler auch, das, was wir zunächst formal von seiner Arbeit verstanden zu haben meinen, zu unterlaufen: "cube.cool white" tut nur so, als wäre er eine ästhetisch in den 60er Jahren angesiedelte Skulptur. In seiner Wirkung setzt er hingegen das Zeitempfinden des Betrachters außer Kraft und produziert den Moment als einzige Wahrnehmungsreferenz. In der Erinnerung wird seine Erfahrung zum konzentrierten Tagtraum, der als Melancholie übrigbleiben kann.

Darstellung und Simulation

Neben der geplanten Komposition, deren Gesetz vom Betrachter entweder entdeckt oder dem Zufall zugeschrieben wird, und dem "echten" Zufallsgenerator existiert noch die Spielart der "analytischen Zufallsfolge", die von Tagwerkers Installation "11x58W/840.flash" variiert wird. Diese Arbeit funktioniert frei nach einer scheinbaren Zufallsprogrammierung, lehnt sich aber an die Bludenzer Version an, indem sie deren Figurationen ineinander verfließen läßt. Der Ingenieur Klaus Köck, der für die Programmierung der Steuerung verantwortlich war, schreibt dazu: "Das flackernde Starten einer Leuchtstoffröhre ist ein nicht voraussagbarer Vorgang. Der Zufall wird nicht dadurch größer, daß etwas zufällig stattfindet, das bereits zufällig ist. Bei der Realisierung von Lichtkunstprojekten steht man als Techniker in der Situation eines Dirigenten, der ein Stück uraufführen soll und nur ein Blatt einer graphischen Notation vor sich hat. Aber bevor das Werk aufgeführt (ausgestellt) werden kann, muß der Ingenieur erst noch einen Teil der Instrumente erfinden und bauen. ... Ich habe keine Zufallssteuerung gebaut, sondern versucht, den Zufall darzustellen."

In Köcks Lesart (die ein weiteres Mal Anleihen bei der Musik nimmt) bestimmt nicht die "echte" Zufallsqualität die künstlerische Äußerung, sondern die Stärke der (manipulierten) Zufallswirkung, die der Ingenieur als steigerbar definiert - der Zufall kann "größer" oder "kleiner" erscheinen und in der dargestellten Wirkung sichtbarer werden, als es der echten Zufallsproduktion je möglich wäre. Das Phänomen wird manipulativ so vergrößert, daß der Betrachter sich einer Zufallssimulation gegenübersieht, die stärker ist als die Realität. Der programmierte Licht-Code produziert eine Zufalls-Realität, in der Zeichen und Reales ununterscheidbar verschmolzen sind - Baudrillards "grundlegender kultureller Prozeß der Moderne" läßt grüßen. In Zusammenarbeit mit seinem Programmierer schreibt Gerold Tagwerker dieser Licht-Installation eine Qualität der Verunsicherung ein, die sich ausweiten ließe auf die gegenwärtige Wahrnehmung von Welt überhaupt. Das Sich-ins-Verhältnis-Setzen zur Realität ist aufgehoben, kritisches Urteilsvermögen des Individuums unmöglich; undurchschaubare Kräfte im Hintergrund ziehen die Fäden der Wirklichkeit und lassen sie so erscheinen, wie es ihren Interessen entgegenkommt. Die Verstärkung der Zufallswirkung durch künstlerische Manipulation wird zu einem Eingriff in die Realität, der jedoch beschreibbar bleibt und so kritisch auf all die nicht mehr beschreibbaren Manipulationen verweist, denen wir uns ausgesetzt sehen.

Das Schweigen hinter den Spiegeln

Ein ständig wiederkehrendes Ausgangsmaterial in Gerold Tagwerkers Arbeit ist der Spiegel (bzw. die Spiegelfolie), der sich in den einzelnen Objekten meist als Kontaktoberfläche dem Betrachter zuwendet. Dabei reflektiert er sowohl den das Kunstwerk umgebenden Raum als auch den Betrachter selbst, allerdings nicht als vollständiges Spiegel-Bild, sondern durch die Vorgabe der den Flächenstrukturen immer innewohnenden Lücken gleichsam "dekonstruiert", in Einzelteilen. Insofern entfällt die allererste kulturhistorische Lesart des Spiegelmotivs als Verweis auf Narziß, denn jener benötigt den kompletten, ungebrochenen Blick auf sich selbst, um vom eigenen Spiegelbild gebannt zu sein, das fortan (wie der Schatten) der Selbstvergewisserung dient. Lewis Carrol’s Alice hingegen hatte mit solchem Identitätsdiskurs nichts zu schaffen und vermag den Interpreten des Tagwerkerschen Spiegelthemas an die Hand zu nehmen, indem sie das verwirklicht, was jede Katze im Angesicht des eigenen Spiegelbildes versucht - hinter den Spiegel zu kommen. In "Alice hinter den Spiegeln" (1872) heißt es: "Lass‘ uns mal so tun, als ob die Spiegelscheibe lose wie Gaze wird und uns durchläßt. Guck‘ mal, sie verwandelt sich jetzt in richtigen Nebel! Durch den kann man ohne weiteres schlüpfen!"

Durch reine Vorstellungskraft wird Alice der Spiegel zur passierbaren Grenze zwischen den Realitäten; wer hindurchgeht, entdeckt ein Paralleluniversum, das quasi spiegelverkehrt zu dem auf der anderen Seite funktioniert und deshalb einiges an Irritationen und "Ver-rückungen" zu bieten hat. (So findet Alice im Spiegelland die Landschaft als Schachbrett gerastert vor und entdeckt den Wald, in dem nichts einen Namen besitzt.) Vergleichbares geht mit dem Betrachter in der Konfrontation mit den Spiegeloberflächen in Tagwerkers Skulpturen und Installationen vor. Er muß die Einladung, durch die Oberfläche zu treten und den dahinter versteckten Objekten zu begegnen, annehmen, sonst erfährt er nicht alles. Denn der Spiegel verbirgt mehr als er sichtbar macht - er löst eben die Strukturen auf, die erst jenseits des Ausstellungsraums wieder neu konstruiert werden können. Die Vorstellungskraft spielt hier jedoch keine Rolle; viel mehr wird im Rezipienten das instinktive Wissen-Wollen der Katze mobilisiert. Was ist es also, das der Künstler hinter seinen Baumarktspiegeln und –folien versteckt? Gegenstände, die in unserem Universum bereits existieren und deren Sinn beschrieben werden kann: Ein Ikea-Regal, eine Wand, Bilder des Malers Piet Mondrian. Aber in Tagwerkers Parallel-Universum scheinen diese Gegenstände Bedeutungsverschiebungen zu unterliegen.

Die Struktur des Systems

Im Ikea-Regal, das den Künstler durch die Einfachheit seines Steckrasters beeindruckte, wird kein Buch und keine Tasse mehr stehen; es ist, als würde die Struktur jedes Ding abstoßen, das eine unsensible Hand auf ihre Fläche setzte. Formal bleibt das (auch an Architektur gemahnende) "grid" der Minimal Art, das auf nichts verweist als auf sich selbst. Aber wir sind schon hinter den Spiegel getreten, und dort wird uns in "mirror.grid" das ehemalige Steckraster zur Landkarte, das wie Alices Schachbrett den Raum strukturiert. Dieser Parallel-Kosmos ist akribisch geordnet und kartographiert, der Besucher kann seine Position eindeutig bestimmen, bloß sich selbst nicht mehr. Wie im Spiegelland-Wald ist er seines Namens (und damit seiner Individualität, deren Konstruktion hier erneut erschüttert wird) verlustig gegangen und löst sich als Koordinate auf in einem übermächtig strukturierten System. Biologie und Psychologie haben die Herrschaft abgegeben an Mathematik und Physik, und diese beschreiben den Makrokosmos, ohne sich mit kleinlichen "menschlichen" Belangen zu belasten. Hinter der Spiegelfolie bekommt die Sehnsucht eine Form, die über Menschenmögliches, dessen mikroskopischen Blick und Vergänglichkeit, hinauswachsen will, die das natürliche Chaos mit Hilfe des perfekten Plans und der absoluten Struktur zu besiegen trachtet - und dort gelingt es sogar.

Der individuelle Raum

Auch die Spiegelfolien, die Gerold Tagwerker als Installationen direkt auf die Wand bringt, können "lose wie Gaze" werden. Und wenn wir sie durchschreiten, sind wir keineswegs eingeklemmt zwischen Spiegelrückseite und Wand - die Wand hat sich gleich mit in "richtigen Nebel" verwandelt. Ein alchemistisches Meisterstück: Durch die einfache Zutat des Spiegels wird nicht nur ästhetisch die Wand aufgelöst, sondern auch in der persönlichen Imagination des Betrachters. Der Künstler schubst ihn in einen leeren Spiegel-Kosmos, der gestaltet werden könnte; die Wand-Arbeiten werden zum Gegenmodell von "mirror.grid", insofern sie den radikal individuellen Raum eröffnen, der keinem äußeren Prinzip unterstellt und nach den vorausgegangenen Verunsicherungen erst neu zu erfinden ist.

Eine erweiterte Spielart der "casinos" entstand an der Glasfassade der REMISE Bludenz: Für die Spiegelarbeit "connections" benutzte Tagwerker das reflektierende Material zum ersten Mal im Kontext von Architektur. Mehrere Fenstersegmente wurden mit Spiegelfolie überzogen, so daß eine unrhythmische Gliederung die Fassade neu prägte - der die REMISE umgebende Außenraum fand sich ausschnittweise als "undurchsichtiger" Gegenstand der Fassadenarchitektur selbst wieder, während die nicht-verspiegelten Fenstersegmente weiterhin den Einblick in den Innenraum erlaubten. Da es sich um eine hochreflektierende Sonnenschutzfolie handelte, war der Ausblick von innen nach außen weiterhin gegeben - eingefärbt, wie durch die Gläser einer Sonnenbrille. Den eigentlichen Ausstellungsraum der Institution ließ der Künstler leer und nannte diese Nicht-Intervention "a white cube": Das vielzitierte Präsentationsheiligtum der Kunst hielt so ganz konkret und dreidimensional das Versprechen, das auch den Wandarbeiten innewohnt - einen Raum ohne jegliche äußere Vorgabe, in dem das Individuum ohne Notwendigkeit von Konsens und Vermittlung "ungeteilt" bleiben darf.

Die reine Idee

Piet Mondrians "Kunst der reinen Verhältnisse" ist seit den 50er Jahren in unzähligen Erscheinungsformen von Design quasi gesampelt worden und kaum noch ohne den Hintergrund dieser Rezeptionsgeschichte zu besprechen. Tagwerker scheint in einer weiteren künstlerischen Erscheinungsform die Arbeit Mondrians rehabilitieren zu wollen, die ihm in ihrem Konzept von konkreter Kunst und Verhältnismäßigkeit nahe sein muß. Er rekonstruiert sie in Format und Komposition eins zu eins anhand von Spiegelfeldern und hängt die so entstandenen "mondrian.mirrors" in der Augenhöhe, die man nicht vom Badezimmerspiegel sondern aus dem Museum kennt. Ihre reflektierende Kontaktoberfläche erscheint als geöffnete "vierte Wand", die das (gestückelte) Abbild des Betrachters als weiteres "äquivalentes plastisches Mittel" in die Farbfeldkompositionen integriert, den sie umgebenden Präsentationsraum jedoch
zur Auflösung bringt. So wird es möglich, in den Raum der Kunst selbst einzutreten, der im immer kontextualisierenden Hier und Jetzt nicht existieren kann. In Tagwerkers drittem Parallel-Kosmos ist die Luft klar, und es herrschen die reinen Ideen in der reinen Ästhetik. Das Subjekt rezipiert nicht die Schattenwürfe der Dinge aus Platons Höhlengleichnis, es wird konfrontiert mit den Dingen selbst, die keinen Namen tragen und nicht zerfallen in Zeichen und Zubezeichnendes.

Nach diesen Erfahrungen hinter den Spiegeln mag man spekulieren über die Sehnsucht des Künstlers, die er so gut hinter Material und ästhetischen Verweisen zu verbergen versteht. Es scheint ihn ein Wunsch nach eindeutiger Trennung von Realitätsschichten umzutreiben, die in der Gesamtheit seines Spiegel-Universums eigene Räume zugewiesen bekommen, in denen sie "absolut" existieren dürfen: Das fehlerlose System ohne Gegenstand, die radikale Subjektivität ohne Gegenüber und die reine Idee ohne Manifestation. Die Vermischung der Ebenen in der Welt vor dem Spiegel muß ihm Unwohlsein erzeugen, auf das er mit einer philosophischen Ordnung reagiert, deren Struktur zufolge der "Andere" nicht vorkommen kann - der Künstler bleibt einsam in seinem Verhältnis zur Wirklichkeit und in seinen Gegenkonstruktionen, die nur absolut bleiben können, wenn sie sich keinem Dialog zur Verfügung stellen. Der Betrachter ist zum Schweigen verurteilt, wenn er aus Tagwerkers Spiegelland zurückkehrt. Und hat eine künstlerische Praxis erfahren, die in der letzten Konsequenz mit dem Allgemeinplatz bricht, daß Kunst Kommunikation wäre.

Die Sprache der Ambivalenz

Bereits in der französischen Höhlenmalerei finden sich erste Farbflächen auf einem Quadratraster, an dem Piet Mondrian seine Freude gehabt hätte. Man kann vermuten, daß das Raster dort ausschließliches Ordnungsprinzip und noch kein Ausdrucksmittel gewesen ist, als das es dann von der Konkreten Kunst und vor allem der Minimal Art entdeckt und benutzt wurde. Wie im Spiegel-Kosmos von Tagwerkers "mirror.grid" erfahren, repräsentiert das Raster eine Strategie der absoluten Kontrolle, ein 100%ig genaues, bis in die Unendlichkeit fortführbares Konzept, dem weder Fehler noch Abweichungen innewohnen. Dabei bedeutet es in seinen Grundtypen nicht nur die konzeptionelle Möglichkeit, Formen zu ordnen, sondern auch die Darstellung von einem Minimum an Ordnung selbst.

Raster und Spiegel

Wenn wir bei "mirror.grid" den Fokus auf den Umgang mit dem titelgebenden Raster lenken (sozusagen "vor dem Spiegel" bleiben), ist zunächst die Fähigkeit der Designer eine bemerkenswerte gewesen: Das dreidimensionale Steckraster ist so simpel wie schlagend; als ästhetisch-funktionales Ordnungssystem produziert es Standfestigkeit und unendliche Erweiterungsmöglichkeit gleich mit. Gerold Tagwerker hat die Flächen des Steckrasters, die üblicherweise mit weißem oder schwarzem Laminat kaschiert sind, mit aluminiumbeschichtetem Furnier versehen und ihnen so zu einer spiegelnden Oberfläche verholfen. Auf der formalen Ebene wird dieser Eingriff zur Intervention in die Struktur des Rasters selbst. Zum einen bekommt die theoretische Möglichkeit des Rasters in seiner unendlichen Fortführung eine sichtbare Gestalt: Die reflektierenden Einzelformen reproduzieren ihre Struktur jeweils bis ans Ende aller möglichen Blickrichtungen, was einem Verschwinden im Spiegel gleichkommt. Zum anderen wird die Rasterordnung konkret in Frage gestellt: Das Abbild ist den Gesetzen der Perspektive anders unterworfen als das Objekt; im Spiegel finden Abweichungen und Verzerrungen statt, die im Konzept des "grid" keinen Platz haben. So setzt sich in der Wahrnehmung des Betrachters die realisierte unendliche Fortführung mit dem Nichts gleich, und das ehemals funktionierende Ikea-Regal verliert seine Standfestigkeit, in dem es unten spiegelnd seine Bodenhaftung aufkündigt und sich nach oben und zu den Seiten als perspektivisch-wuchernde Struktur in den Raum ausbreitet. Die Strategie der absoluten Kontrolle benötigt also anderes Material, wenn sie sich durchsetzen will; sie kann sonst schnell als Strategie der Verunsicherung greifen.

Auch Tagwerkers "Bodenstücke" benutzen das ordnende Raster als Ausgangspunkt: Aus einfachen Latten baut der Künstler eine Struktur, die der Skulptur gleichzeitig als Sockel dient. Auf die so geschaffenen Koordinaten aus Holz legt er paßgenau Aluminiumspiegel im Industrieformat, die dann jedoch mit Hilfe der Lattenkonstruktion verbogen werden. So lange, bis sie kaum noch etwas wiedergeben, das den Raum über ihnen konkret nachvollziehbar machte; Lichtreflexe und Schatten- (besser: Falten-)Wurf verschwimmen zu einem visuellen Eindruck, den der Betrachter noch am ehesten mit Malerei assoziiert. So bleibt das geerdete System aus Längs- und Querbalken ein weiteres Mal hilflos den Möglichkeiten des Spiegels ausgeliefert, der darüber zu schweben und von anderen Formen der Wahrnehmung zu erzählen scheint als denen, die das "grid" für sich reklamieren könnte.

Raster und Licht

In "cube.cool white" hat Gerold Tagwerker auf handelsübliche Deckenleuchten mit weißer Acrylglasabdeckung zurückgegriffen. Klar definiertes, funktionales Ausgangsmaterial, das der dreidimensionalen Würfelrasterung nicht widerspricht, sondern sie willig repräsentiert - solange keine Leuchtstoffröhre zündet. Denn auch das Material Licht bringt, wie der Spiegel, die Ambivalenz des Rasters hervor: Absolute Kontrolle versus absolute Irritation. So entsteht in dieser Arbeit zum Beispiel eine blinkend aufblitzende Lichtbewegung entlang der Achsen, die den Würfel scheinbar zum Rotieren bringt - Bewegung ist der nächste Aspekt, der das Kontrollinstrument grid außer Kraft setzen kann.

Urbane Raster

Das Raster ist in seiner Präsenz innerhalb der Minimal Art bereits als Fortführung des Ornaments gedeutet worden; im Kontext von Architektur steht diese Lesart noch aus. Gerold Tagwerkers "urban studies" (Fassadenaufnahmen von Hochhäusern) weisen jedoch explizit darauf hin, indem sie eine Perspektive wählen, die die Funktionalität der architektonischen Grundraster vernachlässigt und das Ornamentale in den Vordergrund stellt, das - jenseits der Formensprache - keinen Zweck erfüllt. Der Künstler hat "in den Himmel geknipst" (und es damit zahllosen Touristen gleichgetan); aus dem alltäglich-banalen Blick sind Photographien entstanden, die sich über die Standfestigkeit und Bodenhaftung der Hochhäuser ausschweigen und diese stattdessen als perspektivisch gebogene Himmels-Körper zeigen - wobei die "urban studies", die nicht an die Wand gehängt sondern als daran lehnende Objekte präsentiert werden, durch diese Vorgehensweise eine starke "Erdung" erfahren und den Betrachter fast aggressiv mit ihrer eher graphischen als photographierten Sicht konfrontieren, die so in der Wirklichkeit niemals stattfinden könnte. Das eigentlich der Statik und der "sinnvollen" Ordnung dienende Raster hat hier seine Regelmäßigkeit und auch die (kritisch zu besprechende) Darstellung reiner Ordnungsprinzipien verloren. Tagwerker wertet die (nicht immer geglückte) Architektur auf, indem er die Fassadenaufteilung bewußt unvollständig zeigt und die verbleibende "Skulptur" in der Zweidimensionalität auf ihr ornamentales Potential untersucht. So vertreibt er auch den Betrachter aus dem architektonisch-urbanen Zusammenhang, indem es jenem unmöglich gemacht wird, per Blick in die Hochhäuser einzutreten, sich zu ihnen ins Verhältnis zu setzen oder gar den kartographischen Kontext zu rekonstruieren, den die Gebäude gemeinsam beschreiben. Ihm bleibt die Ansicht von nicht-zusammenhängenden ornamentalen Strukturen, die ohne ihn existieren, nach einem Gesetz, das er nicht mehr formulieren kann.

Das urbane Recherche-Projekt "housing/Bregenz" (eine ähnliche spezifische Recherche nahm der Künstler auch in Friedrichshafen vor) veranschaulichte die Prinzipien der "urban studies" gleich im öffentlichen Raum: Tagwerker dokumentierte die modernistische Architektur der jeweiligen Stadt in bekannter Manier und installierte die Ansichten von Wohnhochhäusern im Großformat auf Plakatwände. Der unvorbereitete Passant mußte die Billboards nicht nur als künstlerischen Beitrag identifizieren, sondern sah sich darüber hinaus mit einer kritischen Beschreibung seines eigenen städtischen Umfelds konfrontiert. Ein gleichsam raumversetzter Spiegel warf das woanders aufgefangene Bild der anonymen Architektur direkt in die Stadt hinein und machte es unmöglich, den Blick davon abzuwenden, wie solche Architektur- (und Gesellschafts-) Konzepte nach wie vor städtische Realität prägen.

Auch die "nightpieces", die in Chicago entstanden sind und als gerahmte Photographien oder installative Dia-Projektion präsentiert werden, widmen sich den Strukturen der modernistischen Hochhausarchitektur. Hier ist es allerdings nicht die Wahl der Perspektive, die das Moment des grid außer Kraft setzt, sondern ein weiteres Mal (wie schon bei "cube.cool white) das Licht. Nur selten werden in der großstädtischen Nacht alle Fenster eines Wolkenkratzers erleuchtet sein; die Auswahl mag abhängen von Sicherheitsbedenken oder - ganz konkret - von notwendiger Nachtarbeit in den Gebäuden. In jedem Fall lassen die "nightpieces" eine architektonische Ordnungsstruktur unsichtbar werden; nicht nur wegen der realen Dunkelheit, sondern vor allem, weil das Licht aus den einzelnen Fenstern die Fassadenoberfläche gleichsam "überlagert". Neue Strukturen entstehen durch den willkürlichen Rhythmus der Innenbeleuchtung, hinter denen der Betrachter ebensowenig ein ordnendes Gesetz entdecken kann wie hinter den Türen eines halbgeöffneten Adventskalenders. Er kann sich nur hineinfallen lassen in das melancholisch-einsame Großstadtgefühl, das hinter den erleuchteten Fenstern Gemeinschaft, Wärme und "Sinn" vermutet - Dinge, die im Widerspruch stehen zu dem, was "draußen", auf den Straßen einer Metropole wie Chicago, erfahren werden kann. Diese Gemütsverfassung wird noch verstärkt, wenn die "nightpieces" als Installation gezeigt werden. Das monotone Klicken der Dia-Projektoren und das persönliche "Gefangensein" des Betrachters im leeren Raster des Stahlskeletts können unter Umständen dazu verführen, Rilkes "Panther" zu zitieren: "und hinter tausend Stäben keine Welt". Diese Präsentationsform der "nightpieces" ermöglicht
die Teilhabe an Melancholie und Einsamkeit, die - je nach Verfassung - als romantisch oder erschreckend erlebt wird. Der Käfig des Stahlskeletts wird - wie bei Rilke - zu einer psychologischen Metapher: Die Welt mit allem, was sie bietet, bleibt "draußen", außerhalb des Ichs, und kann nur von ferne beobachtet werden. Die immer neuen Dia-Projektionen von nächtlichen Hochhäusern passieren die Pupille des Betrachters, doch jedes Bild versinkt "und hört im Herzen auf zu sein", ohne jemals zu einer sprachlichen Fassung vorzudringen.

Gerold Tagwerkers künstlerischer Umgang mit dem grid evoziert also ein weiteres Mal Sprachlosigkeit. Die Repräsentation des perfekten Ordnungsprinzips, dessen einfache Syntax sich jedem erschließt, wird immer wieder mit Gegenspielern konfrontiert (dem Spiegel, dem Licht, der Bewegung, der Auslassung und dem Ornament), die es nicht nur aushebeln sondern geradezu ins Gegenteil verkehren. Dieses "Gegenteil" ist nicht formulierbar; die Sprache selbst wäre machtlos gegen die genannten Gegenspieler und würde mit Sprachlosigkeit antworten.

Ich-Ermächtigung aus der Hüfte

In Gerold Tagwerkers photographischer Arbeit findet vor allem eine Auseinandersetzung mit modernistischer Architektur statt, die nicht die "groß geglückten" Architekturikonen behandelt, sondern das "Durchschnittliche" und "Typische", den "mainstream", dem wir uns im urbanen Kontext täglich und überall auf der Welt ausgesetzt sehen.

Tagwerkers "interiors" zeigen Innenraumansichten von Schauplätzen öffentlicher (oder halböffentlicher) Räume, die der Künstler vor allem in Chicago aufgesucht hat - in der Metropole also, die wie keine andere den US-amerikanischen "Inbegriff" der Stadt verkörpert. Aufgrund seiner Geschichte und urbanen Struktur gilt Chicago als die amerikanische Großstadt schlechthin und wird in der Stadtforschung auch als solche besprochen. Im 19. Jahrhundert manifestiert sich auch dort die amerikanische Obsession, die "Aura" der europäischen Antike auf die neuen Städte zu übertragen, so dass die urbane Repräsentationsarchitektur (die sich nicht mehr in Kathedralen sondern in Wolkenkratzern ausdrückt) schon in ihrem Entstehen auch mit der Dimension der zukünftigen Ruine, die großartig von einer Blütezeit zeugt, imaginiert wird. "Nostalgia for the Future", Nostalgie gegenüber der Zukunft, nennt das Marco d’Eramo in seinem Chicago-Buch "The Pig and the Skyscraper", und ein Hauch von dieser zeitverkehrten Nostalgie scheint auch über den Architekturphotographien Gerold Tagwerkers zu liegen - vielleicht weil er sich heute mit seinen Bildgegenständen zwar kritisch auseinandersetzen kann, aber deren zukünftige Ruinen keinen Spielraum mehr lassen werden für distanzierte Hinterfragung oder individuelle Kritik an den steingewordenen Manifestationen modernistischer Konzepte.

Perspektiven auf den mainstream

Bei der Auswahl seiner Bildmotive folgt der Künstler der "persönlichen Attraktion" gegenüber einer mainstream-Ästhetik, die er zeitlich von 1945 bis 1975 faßt. Die durchschnittlichen und überall verfügbaren Formen repräsentieren ihm einen weiteren "Inbegriff" - der Sehnsucht nach einer "modernen" Gesellschaft, die im Besitz von funktionalen Gegenständen und funktionaler Architektur ist, mit deren Hilfe sie ihr Leben pragmatisch strukturieren und ihr Überleben in der Zukunft (mit den dazugehörigen Ruinen) sichern kann. In der Preisgabe seiner persönlichen Attraktion stellt der Künstler stellvertretend also auch die eigene Verführbarkeit und Manipulierbarkeit durch solche "Inbegriff"-Verheißungen zur Verfügung, die er gleichsam erst durch die künstlerische Beschäftigung mit den Objekten seines "Begehrens" und deren Umformulierung in etwas Neues überwindet (was möglicherweise Vorbildcharakter hätte für heutige Strategien individueller Selbstreflexion). In den Photographien der "interiors" hinterfragt Tagwerker dementsprechend eben die Behauptungen modernistischer Konzepte, die ästhetisch (auch bei ihm persönlich) solche Faszination auslösen, politisch-gesellschaftlich gesprochen jedoch kritisch zu betrachten sind.

Das Treppenhaus der Bibliothek auf dem Campus des Illinois Institute of Technology, die Lobby des Atrium Office Plaza, die Henry Ford Centennial Library.... allen solchen Motiven ist gemein, dass es sich ebenso um Repräsentationsarchitektur handelt wie um Orte, die - zumindest von einer bestimmten "Schicht" - alltäglich frequentiert werden und einem Anspruch an Funktionalität genügen müssen; so wie die Architektur-"Benutzer" wiederum auch nach deren Gesetzen zu funktionieren haben, selbst wenn kein "Quiet Study Area"-Schild ihnen sagt, wie genau sie sich verhalten sollen. In allen Gebäuden ist es außerdem seit dem 11. September 2001 nicht mehr so einfach zu photographieren. Der Künstler muss also "undercover" arbeiten, wenn er sich mit diesen Innenräumen beschäftigen will.

Dabei geht es ihm nicht darum, die Architektur in Szene zu setzen, im Gegenteil: Tagwerkers "interiors" stehen gerade nicht für den inszenierten Blick des Photographen, sondern sind gleichsam "aus der Hüfte geschossen"; ungewöhnliche Perspektiven, die teilweise wie Collagen aus mehreren Raumsituationen wirken, verweigern sich der eigentlich dominanten Geste der Architektur. Stattdessen treten skulpturale Treppenaufgänge oder grid-artig angeordnete Beleuchtungskörper als designte Raum-Module in den Focus der Wahrnehmung. So wird die scheinbare Funktionalität und Glätte der Gebrauchsräume entlarvt als etwas, das - von einer ästhetischen Plattform zur nächsten - beinahe rhizomartig vor sich hinwuchert, beliebig und manipulativ zugleich.

Tagwerker selbst geht soweit, in Frage zu stellen, ob Architektur überhaupt jemals "funktionieren" kann. In dieser künstlerischen Skepsis formuliert sich ein tiefer Widerwillen gegenüber Setzungen, die behaupten, man könnte Systeme schaffen, in denen Menschen im Allgemeinen funktionierten und in denen gesellschaftliches

Leben optimal strukturiert und organisiert wäre. Dieser Widerwillen muss sich aus einem Freiheits- und Individualitätsbegriff speisen, der vermutlich "alt-europäisch" zu deuten ist: Gerold Tagwerker bezieht sich zwar sehr stark auf US-amerikanische kulturelle Praktiken (wie Bildende Kunst, Architektur, Design) einer bestimmten Zeit, trägt aber dabei naturgemäß das Erbe des humanistisch geprägten Europäers, das eben auch Ich-Konzepte von Descartes und Hegel enthält, Vereinnahmungen jeglicher Art widerstehen will und die Freiheit des Individuums als höchstes Gut betrachtet. Niemals wird man Gerold Tagwerker pathetisch über die Möglichkeiten von Kunst spekulieren hören, und nur ganz selten sind "Pathos-Spuren" in seinen Arbeiten auszumachen; in der letzten Konsequenz seiner Arbeit, nämlich im Bestehen auf der Nichverfügbarmachung des Subjekts, scheint jedoch ein Individualitätspathos im besten Sinne durch, das heutige Kommunikations- und Systemtheorien mit größtem Vergnügen zum Teufel schickt. So wie der Künstler aufzeigt, dass urbane Strukturen und Repräsentations-Architekturen praktisch nach wie vor vom modernistischen Diskurs geprägt werden (auch wenn heutige theoretische Ansätze dem widersprechen), setzt er gleichzeitig dagegen, dass das Ich nach wie vor eine Instanz ist, die sich beobachtend, wertend und auch verweigernd durch eine gegenwärtige städtische Realität bewegen kann.

Ein Agent als Alter Ego

Ein eben solches Ich verkörpert der Agent Lemmy Caution alias Eddie Constantine, der in Jean-Luc Godards Film "Alphaville" zu Fuß das (allerdings kaum identifizierbare) Paris der 60er Jahre "kartiert" und sich durch Bilder eines urbanen Modernismus bewegt, die Tagwerkers Blick auf jene Formen verblüffend ähneln. Tagwerker hat in seiner Videoarbeit "alphaville/zero2" Originalbilder des Films so gesampelt und collagiert, daß der Agent nun diese Godard´schen Stadtansichten photographiert und seinerseits eine Art Archiv des urbanen Modernismus anlegt. So konstruiert die vom Künstler geschnittene und geloopte Film-Sequenz einen narrativen Layer innerhalb seiner eigenen Arbeit: Der undercover recherchierende Agent, der nicht weiß, was es eigentlich zu recherchieren gilt und deshalb wahllos photographiert, wird zum charmanten Alter Ego des Künstlers selbst, der aus einer Notwendigkeit heraus handelt, ohne sein eigentliches Ziel schon zu kennen. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang, dass sich auch die Begründer der Chicago School der Stadtethnographie bei ihrer soziologischen Feldforschung als "Detektive" in heimlicher Mission begriffen haben, so dass der Künstler, der Ermittler und der Wissenschaftler in der kritischen Beschreibung von urbanen Phänomenen offenbar eine teilweise deckungsgleiche Identitätskonstruktion vornehmen.

Gerold Tagwerker scheint im Werkkomplex seiner "interiors" vornehmlich an der Definition des zeitgenössischen künstlerischen Ichs in der Konfrontation mit urbanen, modernistischen Konzepten zu arbeiten. Die eigene Manipulierbarkeit zur Verfügung stellend, bleibt er zunächst zielloser Flaneur in einer städtischen Realität, die ein "Subjekt-Empfinden" unmöglich zu machen trachtet.

Aber er ist eben kein Agent in geheimer Mission wie Lemmy Caution oder ein Stadtforscher mit Feldforschungsauftrag; er ist ein Künstler, der sich für Blickwinkel, Aussage und Endprodukt zu entscheiden vermag - wodurch eine Ich-Ermächtigung im besten Sinne stattfindet: Das künstlerische Subjekt ist gefestigt genug, um den eigenen Kontrollverlust vor dem modernistischen Ausschnitt einer Großstadt bewußt zuzulassen. Es benötigt die Stadt als Raum der Auseinandersetzung, es benötigt das zweckfreie Flanieren und den damit einhergehenden Selbstverlust. Erst nach dieser Erfahrung wird in der konkreten künstlerischen Produktion die Konstruktion einer kritischen und urteilsfähigen Individualität möglich und sichtbar, die nicht Gefahr läuft, allgegenwärtigen Simulationen anheim zu fallen.

Auf den dritten Blick also zeichnet sich die künstlerische Praxis Gerold Tagwerkers dadurch aus, daß sie sich - fast programmatisch - spezifischer Mittel bedient, die im allgemeinen Bewußtsein für die Ausübung von Kontrolle stehen: Das Licht, durch das die Dunkelheit mit all ihren Konnotationen gebannt werden kann; die Rhythmisierung, durch die Reihenfolgen Struktur und Aussage gewinnen; der Spiegel, vor dem zuallererst Selbstvergewisserung stattfindet; das Raster als perfektes Ordnungsprinzip für Formen; die Perspektive, mit deren Hilfe das Subjekt entscheidet, welcher Blickwinkel angemessen und "wahr" ist. Über verschiedene ästhetische Interventionen gelingt es dem Künstler, all diese Kontrollmittel in Frage zu stellen und sie sogar in ihr Gegenteil umzuformulieren. Die verunsicherte Wahrnehmung des Betrachters führt zu Reaktionen, die nicht innerhalb der Ästhetik zu beschreiben sind, sondern eher in den Feldern Psychologie, Soziologie, Philosophie, Kommunikationswissenschaft oder Sprachtheorie aufgefangen werden können. Dadurch wird der erlebte Kontrollverlust des Individuums zu einer intellektuellen wie emotionalen Herausforderung, die - nach der Erschütterung zahlreicher (Schein-) Festlegungen - auch lustvolle Reaktionen zu provozieren vermag. Denn vor den Arbeiten Gerold Tagwerkers gerät dem Betrachter ein Geruch von Freiheit in die Nase, der sich aus der Erweiterung menschlicher Wahrnehmungsmöglichkeiten speist. Diese Freiheit wäre ein Ausgangspunkt für den Entwurf neuer Strategien von (nicht nur künstlerischer) Individualität, die sich jenseits ängstlicher Grenzen und zu Konventionen geronnenen, nicht mehr überprüften Wissens konstruieren könnten.

Dagrun Hintze - Der dritte Blick - Kontrollverlust als Strategie,
in: Gerold Tagwerker - zero 1_2_3_4_5, Revolver Books, Frankfurt 2004


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Ein Gespräch mit Romana Schuler, Rainer Fuchs, Friedrich Achleitner, Wolfgang Kos, Gerold Tagwerker, Harald Welzer

Schuler: Als Vorbereitung für dieses Gespräch habe ich in Texten über Minimal Art nachgelesen und bin auf ein Zitat gestoßen, das Donald Judd in den achtziger Jahren bei einem Vortrag über Kunst und Architektur verwendet hat. Er zitierte Ludwig Wittgenstein, der meinte: ›Es ist schwer am Anfang anzufangen und nicht zu versuchen, noch weiter zurückzugehen.‹ Man könnte dieses Zitat auch an den Anfang dieser Gesprächsrunde stellen. Wenn wir nun in der Minimal Art der sechziger Jahre einen Bezug zu dieser Ausstellung hier sehen, wie es der Titel des Gesprächs provoziert und so einen historischen Kontext zu Gerold Tagwerkers Arbeit herstellen, sollten wir vielleicht diese Zeit zu beleuchten versuchen und sie den neunziger Jahren gegenüberstellen.
Die Minimal Art hatte dort ihren Anfang und wurde bis in die siebziger und Anfang der acht-ziger Jahre als eine Bewegung betrachtet, die sich rein kunstimmanent verhielt und sich in ihrem Diskurs und mit ihrer Kritik gegen Kunsttraditionen stellte. Andererseits waren die sechziger Jahre aber eine hoch politische Dekade, als eine Zeit der Bürgerrechtsbewegung, der Studentenbewegung oder der Antikriegsproteste um Vietnam. Viele Vertreter der Minimal Art waren politisch engagiert und aktiv. Jüngere Kritiker sahen die Minimal Art dann aber auch als eine politische Kunstbewegung, ähnlich der russischen Revolutionskunst. Die neunziger Jahre stellten sich nun als eine andere Dekade mit anderen Diskussionen und Inhalten dar.

Fuchs: Man kann Minimal Art unterschiedlich interpretieren. Das zeigt die Rezeptionsge-schichte. Es stimmt schon, dass es in den sechziger Jahren wichtige politische Zielsetzungen gegeben hat, bestimmte Paradigmen oder Traditionalismen zu brechen und zu konterkarieren. Insofern war Minimalismus politisch, und insofern muss man ihn vor dem zeitlichen Hintergrund der sechziger und siebziger Jahre sehen. Ein Aspekt, der wichtig ist, ist sicher diese Erfahrung von Wahrnehmungs-Wahrnehmen, die Selbstwahrnehmung, die Idee, dass der Betrachter des Objektes der Mitkonstrukteur der Arbeit ist, dass also Arbeiten von vornherein so angelegt sind, dass sie das Bewusstsein des Wahrnehmens mitthematisieren. Man hat inzwischen diese Wahrnehmungstheorie modifiziert. Damals wurde angenommen, dass es ein neutrales Betrachtersubjekt gäbe, also eine Art ontologischen, physiologischen Akt des Betrachters. Später hat man das natürlich revidiert. Das Wahrnehmen ist ein von sozialen Aspekten mitbestimmter Akt und nicht nur eine rein physiologische Geschichte. Viele der damaligen Theorien haben sich als nicht haltbar erwiesen. Gerade Judd ist mit seinen Statements ein gutes Beispiel für sehr viele Annahmen, die sich überlebt haben. Diese ganze Nüchternheit und Non-Relation, diese Nichtkomposition und das Aufbrechen der Aura hat sich nicht wirklich durchgesetzt. Minimalarbeiten sind ja heute Ikonen der Kunstgeschichte und das, was man ›auratisches Erlebnis‹ nennt, das stellt sich auch gegenüber diesen Exponaten ein. Wenn man jetzt an die frühen Bilder Tagwerkers denkt, sieht man bei ihm nicht von vornherein eine Scheu gegenüber einem bestimmten Medium. Damals aber war es ein Paradigma keine Malerei zu machen. Judd meinte, dass alles was weniger auskragt von der Wand, als es hoch ist, ist ein Bild und alles, was mehr auskragt als es hoch ist, ist ein Objekt. Das Bild verliess die Wand und ging als Objekt in den Raum. Das ist auch etwas, was heute in dieser Form nicht mehr zu Diskussion steht, und das heißt, darüber kann man heute anders dis-kutieren. Um zu Tagwerker zurückzukommen: Man kann das Material, die Methode so verwenden, dass sich ein Bildkörper ergibt. Aber gleichzeitig setzt er den Malereibegriff oder Bildbegriff in einen anderen Zusammenhang, wie bei den Streifenbildern Mitte der neunziger Jahre. Es gibt eben ein anderes Umfeld. Eine andere Vorstellung von Pluralismus in der Kunst, von Sprachlichkeit, von Diskursivität, von linguistischen Dimensionen, die Kunstwerke selbst besitzen. Damals ging es darum, dem Werk jede Form von Narrativität oder Referenzialität abzusprechen. In der damaligen Situation, dieser Kontrahaltung gegenüber der europäischen Tradition, war das ein wichtiges, manifestartiges Anliegen, das man aus der historischen Position heraus verstehen muss, welches für Künstler wie Tagwerker aber eben nicht mehr gilt.

Achleitner: Mir fallen da noch zwei Ergänzungen ein: Einerseits ist 1962 ›Das offene Kunst-werk‹ von Umberto Eco erschienen, in dem der Rezipient eine wichtige Rolle spielt, anderer-seits denke ich an die serielle Musik der späten fünfziger und sechziger Jahre. Dies wäre aber auch nur ein Bein in diesem Zusammenhang, weil das Zufallsmoment dort noch keine große Rolle spielt. Interessant scheint mir der Weg, von ganz präzisen Konstruktionen auszugehen und dann ›aufzumachen‹, Zufallselemente einzuplanen...

Kos: Die Minimal Art bringt mir nicht allzu viel im Zusammenhang mit den Arbeiten hier und ihrem Zusammenklingen und Zusammenspiel - diese hochgradige, religiös gefärbte Dogmatik, die dann irgendwann einmal in die Arbeit der Minimalbewegung hinein kam. Es war ja eine Reformerbewegung, eine Bewegung der Rücknahme, der Ausnüchterung, der Entleerung. Es ging gegen Geschwätzigkeit, gegen die Großstadt und ihre Kakophonie, es ging in Richtung Land Art und Menschenferne, es ging in die Richtung einer fast tempelhaften Bespielung von Räumen. Auch wenn eine anti-auratische Absicht bestand, als polemische Position ist die Minimal Art hochgradig auratisch geworden. Es flimmert auch Esoterik-Potenzial mit. Es fällt mir schwer, von diesem Bild des Minimalismus, von diesen Weihezonen einen gedanklichen Schnellcrash zu den Arbeiten hier zu machen, bei denen ich Ironie und Lockerheit, Spiel und Lust zu spüren vermeine - jeder weiß, dass der Kreis etwas Magisches sein kann, der Kreis kann zum Beispiel auch ein Loch sein. Diese Entweihung magischer Formen, nicht aus einem großen Weltverbesserungsprogramm heraus, sondern mehr aus einem Vergnügen am formalen Potenzial oder Materialpotenzial, das ist doch weit weg von dieser klassischen Position. Die Arbeiten hier sind dem Gerümpel viel näher als dem Tempelbezirk. Das macht sie sympathisch. Ein anderer Reiz der Arbeiten dieser Ausstellung liegt für mich darin, dass ich jederzeit wieder wegschauen kann. Ich bin nicht gezwungen, über diese Werke in mein tiefstes Inneres einzudringen. Ich habe nicht das Gefühl, dass der Künstler das unbedingt von mir erwartet. Das finde ich schon recht angenehm.

Schuler: Das ist interessant, wenn ich mir das vom Aspekt der Materialwahl Gerolds aus betrachte: Er hat lange diese Klebebänder als Material verwendet, und er arbeitet weiterhin mit industriell vorgefertigten Materialien und Produkten, die sich jedermann in Baumärkten kaufen kann. Produkte, die sich also jeder erwerben kann und nach Bedarf jederzeit besorgen kann. Wenn ich was zu kleben habe, besorge ich mir ein Klebeband. Er verwendet diese Materialien auch in diesem Sinne. Das ist ein selbstverständlicher Umgang mit Material, und darin sehe auch ich das Unaufdringliche seiner Arbeiten.

Kos: Das ist natürlich heute der ›State of the Art‹. Es wäre viel verblüffender, wenn wir hier sitzen würden und Bronzen zu besprechen hätten oder Steinbildhauerei.

Fuchs: Die Frage ist ja, wie Material verarbeitet wird. Ein Unterschied zur Programmatik der sechziger Jahre ist zum Beispiel, dass Judd sagte: Die Farbe darf nicht aufgetragen werden, sondern das Material muss konsistent mit der Farbe sein.

Kos: Das sind bestimmte Regeln, wie sie Religionen kennen: ›Das darfst du nicht essen.‹

Fuchs: Genau, eine wirkliche Programmatik. Es durfte nicht mehr das Medium Malerei sein, es musste das Medium ›Ding‹ oder ›Objekt‹ sein. Heute gibt es eine andere Beziehung zum Begriff des Mediums, auch durch das Sprachbewusst-sein von Kunst. Wenn ich jetzt nicht mehr akzeptiere, dass Malerei Malerei ist und ein Bild ein Bild, sondern dass das auch begriffliche Dinge sein können, die anders konnotierbar sind, dann habe ich eine andere Situation. Wenn ich die programmatische Position der sechziger Jahre betrachte, war das auch ein Glaubenskrieg - die Neuen gegen Greenberg, gegen die Tradition
der europäischen Abstraktion, die Rückwendung zum russischen Konstruktivismus, die Kämpfe zwischen der Pop Art und den Minimalisten.

Kos: Es wäre interessant zu wissen, wie Tagwerker sich von seinem Studium an gesehen hat, ob er sich im Kampf befunden hat, ob es Phasen gab, wo er meinte: ›Ich muss gegen etwas kämpfen.‹

Tagwerker: Ich glaube, meine Generation kennt diese Kämpfe nicht. In den achtziger Jahren wurden Grün-Themen, die ökologische Problematik und die Hausbesetzerszene diskutiert, aber von mir nicht kämpferisch mitgetragen. Da gab es keine Kämpfe, das waren mehr Akte der Solidarisierung. Kunstimmanent spielten sich Ende der achtziger und in den neunziger Jahren parallel dazu auch keine Kämpfe ab, bezogen auf solche Kunstmanifeste oder Dogmen. Die waren mir aber immer sehr sympathisch, als einem, der eben nie wirklich konfrontiert war mit Kampfpositionen. Ich bin da mehr konfrontiert worden mit einer ›anything goes‹ -Haltung der Kunst.

Kos: Eine Sehnsucht nach Haltung?

Tagwerker: Sehnsucht nach Haltung sozusagen, Sehnsucht nach politischen Visionen, Zielen, vielleicht ... (lacht)

Schuler: Es gibt also keine Propheten mehr, wie es in den sechziger Jahren Beuys gab, der noch immer und immer wieder zitiert wird - der war ein klassischer Prophet, ein Mystiker...

Tagwerker: Judd war ja auch einer, wenn auch aus einer anderen Ecke. Solche Propheten können doch immer noch faszinieren, vielleicht aber auch nur aus einer stattgefundenen Legendenbildung, und das macht einen gleichzeitig skeptisch. Von der russischen Revolutionskunst und der Minimal Art ging für mich während meines Studiums eine starke Faszination aus. Aber sieht man von den in den achtziger Jahren schick gewordenen kyrillischen Logos und Emblemen, vom trendigen Umgang mit diesen Zeichen ab und lässt sich tiefer auf diese Bewegungen ein, erscheinen einem solch kritisch engagierte Haltungen auch schnell transparent und durchsichtig. Trotzdem sind mir diese Versuche von Entauratisierung oder auch Demokratisierung der Kunst sehr nah. Deswegen haben wir auch diesen Titel ›Recycling Minimalism?‹ als Überschrift für dieses Gespräch gewählt.
Ich jongliere in meiner Arbeit mit solchen Ansätzen, das heißt aber auch, ich bin mir derer be-wusst. Ich sehe ja auch meine Arbeit viel spielerischer und frei vom ideologischen Ernst eines Manifestkünstlers. Wenn ich nun Minimal Art als eine Tradition betrachte, dann aber auch als keine, gegen die ich mich stelle und gegen die ich arbeite, sondern als eine, mit der ich vielmehr sympathisiere, für die ich aber auch kein Glaubensbekenntnis ablegen könnte.

Achleitner: Haben nicht eher die Rezipienten, die ›Kunst‹ eingefordert haben, zu dieser Auratisierung beigetragen - mehr als die Künstler selbst? Die Möbel von Donald Judd zum Beispiel, die quasi ihre Funktion wegwerfen, das waren keine auratischen Objekte. Wenn man die aber in einer Ausstellung als Ensemble zusammenstellt, dann erscheinen sie einem so, als ginge man in eine Kapelle.

Schuler: Sobald man etwas in eine Galerie, in einen Kunstraum stellt, läuft man Gefahr, dass eine Entauratisierung nicht mehr möglich wird.

Fuchs: Ich glaube, es spielen andere Dinge auch noch eine Rolle: Erstens der Kunstbetrieb mit seinen Inszenierungen, und zweitens trat man in den sechziger Jahren mit einem bestimmten Ziel gegen jemanden an. Diese Künstler traten nicht an, nur um zu zerstören, die traten ja an, um sich als neue Helden zu inszenieren. Sie haben das gut gemacht, und es ist ihnen in gewisser Hinsicht auch gelungen. Und wenn jemand in dieser Hierarchie der Selbsthistori-sierung eine bestimmte Stufe erreicht, wo er wahrgenommen werden muss, weil er Maßstäbe setzt, dann gewinnt er und das, was er macht, auch Bedeutung. Dann treten Effekte auf, wo man weiß: Das ist was Besonderes, das ist kein Zufall, dass die da stehen, wo sie jetzt stehen. Da kommen viele Dinge zu-sammen, und das hat dann ›Wert‹. Das Wissen über diese Bedeutung färbt auch auf die weitere Produktion und Rezeption ab. Das könnte man als die Grundlagen der Auratisierung bezeichnen. Dinge funktionieren immer in einem sozialen, historischen Zusammenhang, gewinnen dort Bedeutung, gewinnen das, was wir elitären Status und ›Aura‹ nennen. Der Kunstbetrieb ist ein wichtiger Faktor in dieser ganzen Maschinerie. Wenn ich Texte lese von diesen Künstlern, von diesen Kämpfen, die sie gefochten haben, glaube ich nicht, dass sie sich so weit demokratisieren wollten, dass sie überhaupt in der Menge aufgehen und nicht mehr wahrgenommen werden wollten. Das ist eine romantische Fiktion.

Kos: Aber es scheint für jüngere Künstler schon eine Faszination zu geben für die mittleren sechziger Jahre, weil es da noch Dissidenz gegeben hat. Nehmen wir zum Beispiel aus der letzten Zeit diverse psychedelische Phänomene, auch im Zusammenhang mit Techno und Remix. Denken wir an diese Light Shows, bei denen eine chemische Flüssigkeit zwischen Glasplättchen auf die Wand projiziert wird, wobei das Bild quasi in jedem Bruchteil einer Sekunde neu ist und nie wieder gleich sein wird. Gestaltungen also, die überhaupt nicht kontrollierbar sind, wenn man sie einmal gestartet hat. Ich denke an Ugo Rondinone, der keineswegs ironisch sein möchte, oder auch Pipilotti Rist, deren erste Videos mich deshalb so fasziniert haben, weil sie das Flirrende, Schwebende, Unscharfe der Sixties wieder stark evozierten, irrsinnig emotional bis hin zum Kitsch. Da gab es komischerweise ein jede Kontrolle verlassendes Spiel der Farben, Klänge, Düfte, wo alles durcheinander geht. Auf der anderen Seite aber gab es den Versuch der Klärung, der Präzision, eine Form des Form- und Materialfetischismus in Teilen der Kunst der späten sechziger Jahre. Es scheint aber einen gemeinsamen Nenner zu geben: die Entgrenzung, ein Überschreiten der banalen Alltäglichkeit. ›Magisch‹ war alles, das Hippie-Gerümpel ebenso wie das streng For-male. Es gab aber nachher noch viele andere, wichtige Strömungen wie zum Beispiel IKEA. Wie weit geht die Erfahrung, dass wir umgeben sind von einer Vielzahl von Materialien?
Ich meine den Punkt, wo es für formbewusste Menschen unmöglich wird, nicht wie ein Kind herumzuirren in diesem Pool, in dem es schon alles gibt. Ich spüre in Tagwerkers Arbeiten ein Erstaunen darüber, was man mit dem gefundenen Zeug alles machen kann, ein Spiel mit der Fülle von Möglichkeiten. Es gibt die Verlockung, dass so vieles da ist und dass alles interessant ist. Die entscheidende Frage dieser Künstlergeneration müsste demnach also sein, wie treffe ich da die Entscheidung der Auswahl, wo grenze ich ab, wie verliert man sich in dieser Fülle nicht. Möglicherweise hängt von dieser Frage auch der Unterschied zwischen guter und nicht ganz so guter Kunst ab.

Schuler: Ich habe Gerolds Arbeit jetzt über die letzten Jahre verfolgt und beobachtet, mit welcher Logik er seinen Weg gegangen ist. Wie er von frühen zeichnerischen Arbeiten über Arbeiten auf Holz zu den Arbeiten mit Klebebändern kam, die erst als Tafelbilder entstanden und dann als Wandarbeiten in den Raum erweitert wurden. Ich habe damals von einem Schritt in Richtung ›Skulptur‹ gesprochen, weil der Betrachter mit ins Bild kam, sich in diesen Bändern bewegt hat. In dieser Ausstellung sehe ich einen großen Schritt, eine starke Veränderung. Hat das damit zu tun, dass du dich in letzter Zeit intensiver mit Architektur beschäftigt und mit Architekten zusammengearbeitet hast?

Tagwerker: Das ist vielleicht wirklich so. Ich habe in den letzten zwei Jahren öfters mit Architekten zusammengearbeitet, als künstlerischer Partner Projekte erarbeitet und als, sagen wir, Konsulent bei Projekten mitgewirkt. Da hat sich mir eine neue Sicht verschiedener Dinge eröffnet. In der Architektur kalkuliert man neben einer ästhetischen und formalen Ebene eine funktionale Ebene mit, wie auch der Aspekt von Materialien und deren ästhetischen Eigenschaften und Wirkungen - bei eben ausschließlich industriellem Material und Produkten - dazukommt. Das hat mich in dieser Form schon fasziniert und ist sicher in meine Arbeit eingeflossen.

Fuchs: Wenn ich an diese Streifenbilder, die Klebebandarbeiten, denke, habe ich viele Möglichkeiten, von dort aus Dinge in den Arbeiten dieser Ausstellung wiederzufinden. Es geht bei den aktuellen Arbeiten Tagwerkers jetzt eher um ein System oder eine Struktur, der er nachgeht und der er verschiedene Ausdrucksformen verleiht. Er verwendet verschiedene Materialien, verschiedene Konstellationen - zum Beispiel das Überlagern, das Transparente - so, dass Material sozusagen expliziert wird. Diese Bänder - auf den ersten Blick glaubt man, dass das Malerei ist - sind aber reales Material. Das ist eigentlich ein Widerspruch zur Fiktion, die die Malerei mit Farbe aufführt.

Schuler: Wenn man diese Bilder nicht im Original sieht, kann man das Material auch nicht erkennen. Wenn man sie nur als Abbildung sieht, täuschen diese Klebebänder.

Fuchs: Er legt sozusagen viele Fährten und Offerte aus, die auf den ersten Blick vielleicht nichts miteinander zu tun haben. Und dann beginnt man zu entschlüsseln, wo der Punkt ist, wo es konvergieren könnte. ›Das hat mit Architektur zu tun‹ - ist ein wichtiger Ansatz, vom Raum her, vom Material her zu denken –, Architektur ist für mich in Bezug auf Tagwerkers Arbeit ein sinnvollerer Ansatz als Minimal Art. Tagwerker stellt mit diesen Arbeiten keine Lösungen vor, sondern Fragen, Projek-tionsdinge, in die wir uns dann einklinken, damit arbeitet er. Da klinke ich mich jetzt mit meinem Denken ein, so wie jeder andere hier, und das gibt dann immer andere Resultate. Das ist die strukturelle Offenheit der Rezeption.
Welzer: Ist es nicht vielleicht ein Problem, dass man sich diese Offenheit gar nicht gestattet, sondern so-fort immer interpretiert, wie wir es hier jetzt auch tun, und es gar nicht für möglich hält, dass sich irgendetwas nicht erschließen lassen könnte, dass vielleicht sogar die Qualität einer Ausstellung darin bestehen könnte, dass sie sich nicht vollständig erschließt. Es ist nun mehrfach versucht worden, mit Bezugnahmen auf Minimalismus, Architektur und so weiter eine Klammer für Tagwerkers Arbeiten zu finden. Aber vielleicht versuchen wir da etwas, was möglicherweise ganz disparat ist und sein soll, auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, der unangemessen ist. Das ist so eine Automatik der Sinnproduktion. Irgendwie kann man es kaum aushalten und will es Gerold auch nicht zumuten, dass man sagt: Das ist eine völlig disparate, heterogene Ausstellung, diese Sachen haben ja miteinander gar nichts zu tun. Der Gedanke, das überhaupt für möglich zu halten, könnte ja auch als Eingehen auf Tagwerkers Angebot verstanden werden, seine Ausstel-lung erstmal einfach so dastehen zu lassen. Ich meine, das könnte seiner Intention eventuell an-gemessener sein, als gleich daherzugehen und zu sagen: Ich verstehe das so und so.

Fuchs: Man geht hin, sieht, dass die Dinge disparat sind, man versucht den Punkt zu finden, ordnet Bedeutungen zu, aber das befreit in einem gewissen Sinne diese Dinge wieder. Es kristallisiert sich heraus, dass viele Dinge nicht mit Sprache oder Vermittlung zu begreifen sind. Es sind letztlich visuelle Fakten, die man wahrzunehmen hat. Es wäre Unsinn zu sagen: Es ist wichtig, immer die Sachen auf ihren Punkt zu bringen, immer die Struktur zu finden...

Welzer: Aber das ist, was passiert. Das ist wie mit dem Pavlov‘schen Hund. Das ist, was man unwillkürlich tut, sobald man einen Ausstellungsraum betritt. Man erwartet auch von sich selbst, dass man das irgendwie sinnhaft schließen kann. Man kann sagen: Das ist Mist. Aber das ist genauso ein ge-meinsamer Nenner wie man sagt: Das geht wunderbar zusammen. Primär ist es eine eigene Sinnproduktion, die da herangetragen wird. Die Frage bei dieser Ausstellung wäre: Gehört das überhaupt zusammen? Im Grunde genommen könnte das eine Gruppenausstellung von ganz unterschiedlichen Subjekten sein. Es könnten fünf Künstler sein, die das hier gemacht haben. Das kann denkbar sein, das kann ich mir vorstellen.

Achleitner: Ich glaube, dass eine Arbeit schon etwas aus dem Kontext herausfällt - das sind die Fotos mit Architektur. Was diese Arbeiten für mich verbindet, ist das Materiale, das Strukturelle, die Tiefe, die Regelmäßigkeiten, Zufälligkeiten der Spiegelung oder die Rolle, die der Raum spielt. Das ist wunderschön, mehr noch, wenn das Zufallsmoment hinzu kommt. Aber da wird es dann auch schwierig. Das ist zunächst einmal die an sich grausliche Architektur, die fotografiert wird. Außerdem ist es ein wichtiger Aspekt, dass man in die Bilder ›hineingehen‹ kann, also die Größe des Formats, wodurch man sozusagen den Umraum verliert und man nur mehr mit einer Struktur konfrontiert ist, die aber wiederum nur fotografierte Fläche ist. Das ist eine sehr verschiedene Wirklichkeit zu den anderen Arbeiten der Ausstellung. Die Architektur ist eigent-lich nur ein Vorwand. Sie ist als Realität nicht mehr vorhanden, sondern eben nur mehr als Abbildung, als komprimierte, fokussierte und gewissermaßen ›abstrakte‹ Wirklichkeit. Die Verbindung zu den anderen Arbeiten könnte dort liegen, wo die Größe der Bildflächen eine eigene Realität erzeugt. Ich frage mich jetzt, wie diese Beziehung aussieht.

Fuchs: Für mich ist die Qualitätsfrage der abgebildeten Architektur jetzt gar nicht so ent-scheidend. Mir erscheint es wesentlich, bei diesen Fotos zu beachten, ob das Foto wirklich nur ein Foto ist oder wie hier auch ein Ding. Wobei noch dazu kommt, dass das Motiv im Bild ziemlich gegen die Fläche arbeitet. Es ist wie ein explizites Klappen in den Raum. Es wird dauernd räumliche Realität auf dieser Fläche suggeriert, es hat eine unglaubliche Stärke und eine unglaubliche Kraft. Das wird nochmals wiederholt und verdeutlicht durch dieses An-lehnen. Das Ding hat ein Gewicht, es lehnt, es hat eine Statik. Es ist auch kein Zufall, dass das Schwarzweißfotos sind. Tagwerker erzählt mir so nicht über ein bestimmtes Bauwerk, sondern über eine Struktur. Er benutzt Architektur als Strukturmotiv.

Kos: Bei diesen Gebäuden geht es offenbar auch um eine Art Rüstung, eine Haut, eine Art Panzerung, die wie ein Kettenhemd aus verschiedenen, industriell gefertigten Elementen besteht, ähnlich wie Tagwerkers Objekte. Es gibt also ein Gesicht der Dinge, eine Außenzone. Man fragt sich dann auch, wie viel Zufall ist in solchen Gestaltungen enthalten, wie viel Funktionalität zum Beispiel bei Verpackungen oder Ähnlichem. Darum komme ich zurück zur Frage: Wo findet oder auf Grund welcher Fragestellung findet ein Künstler diese Wahlverwandtschaften, die ml;gt. Was einem einmal auffällt, sieht man dann auch immer wieder. Bei einer Idee für eine Arbeit selektiere ich dann verschiedene Konzeptionen, bis ich mich für eine entscheide und sage: Das steht sich dafür. Und dann fange ich an, die Arbeit zu realisieren.

Kos: Diese Affinität muss aber eine gewisse Intensität haben, wenn sie sich meldet. Es ist nicht ein dauerndes Suchen und ein dauerndes Finden.

Tagwerker: Das kann es gar nicht sein...

Kos: Weil dann wäre es ja nicht mehr bearbeitbar. Das würde dann in Geröll und in Chaos enden. Also gibt es dann doch wieder eine Reduktion. So wie ein Fischer nicht jeden Fisch nimmt, den er fängt, sondern viele wieder zurückschmeißt.
Achleitner: Das ist ja das Spannende, dass aus einer Alltäglichkeit, die man nicht wahrnimmt, etwas herausgenommen und in einen anderen Zusammenhang gestellt wird, wodurch es seine oder neue Qualitäten preisgibt. Der Künstler macht da etwas sichtbar, was ein Ding vordergründig nicht hat. Wie die Manipulation hier, dass in das Innere einer Kabelrinne Licht kommt und damit die Struktur etwas ganz anderes leisten muss und sich dadurch auch in ihrer Erscheinung total verändert.
einer Idee für eine Arbeit selektiere ich dann verschiedene Konzeptionen, bis ich mich für eine entscheide und sage: Das steht sich dafür. Und dann fange ich an, die Arbeit zu realisieren.

Kos: Diese Affinität muss aber eine gewisse Intensität haben, wenn sie sich meldet. Es ist nicht ein dauerndes Suchen und ein dauerndes Finden.
Tagwerker: Das kann es gar nicht sein...

Kos: Weil dann wäre es ja nicht mehr bearbeitbar. Das würde dann in Geröll und in Chaos enden. Also gibt es dann doch wieder eine Reduktion. So wie ein Fischer nicht jeden Fisch nimmt, den er fängt, sondern viele wieder zurückschmeißt.

Achleitner: Das ist ja das Spannende, dass aus einer Alltäglichkeit, die man nicht wahrnimmt, etwas herausgenommen und in einen anderen Zusammenhang gestellt wird, wodurch es seine oder neue Qualitäten preisgibt. Der Künstler macht da etwas sichtbar, was ein Ding vordergründig nicht hat. Wie die Manipulation hier, dass in das Innere einer Kabelrinne Licht kommt und damit die Struktur etwas ganz anderes leisten muss und sich dadurch auch in ihrer Erscheinung total verändert.

Kos: Plötzlich wird es Licht - wie bei einem Zelluloidfilm - durch diese Perforierung ...

Tagwerker: Ich möchte nochmals die Fotos in diesem Kontext ansprechen und versuchen, eine offene Frage zu beantworten. Ich arbeite an dieser Serie seit mittlerweile 1995, und es ist ein großes Archiv von Architekturaufnahmen entstanden, die ich bei Stadtwanderungen in verschiedenen Städten gemacht habe. Diese Fotos sind nun als kleine Prints in einer Art Zettelkasten sortiert, den ich mir immer wieder durchsehe und nach Affinitäten zu anderen Arbeiten untersuche, versuche Bezüge zu finden und in Ausstellungen oder Ensembles dann in Beziehung stelle. Diese Architekturen, die keine Starqualitäten besitzen und die man in keinem Architekturführer findet, faszinieren mich in ihrer Kühle und Anonymität, in ihrer Langeweile und Banalität, der unendlichen Aneinanderreihung von ein und demselben Element - natürlich schätze ich an Architektur ganz andere Qualitäten, aber das ist bei diesen Arbeiten nicht der Punkt –, ich will diese Architekturen ja auch nicht heroisieren, sondern verwende sie lediglich als Material, als Strukturen, die ich in Details aus einer realen, banalen und alltäglichen Welt aufnehme. Und ich realisiere sie dann als diese trashigen Schwarzweiß-Prints, die auf eine einfache Homogenplatte kaschiert werden. Mich interessieren im Kontext eines solchen Ensembles wie dieser Ausstellung dann die Assoziationen, die passieren, wenn man hin- und hergeht zwischen einzelnen Arbeiten einer solchen Inszenierung.

Fuchs: Das ist genau der Punkt der Funktion, der Funktionalität. Diese Dinge erinnern an irgendwelche Geräte. Architektur ist ja auch ein funktionales Phänomen. Oder auch diese Plastikfolien, wie die aufgehängt sind ...

Kos: Also die erinnern mich funktional an nichts.

Fuchs: Nein, dass das so expliziert ist, dass das an der Wand hängt, dass man eine Öse braucht, damit das nicht ausreißt. Damit ich sofort kapiere, das hat einen Sinn, eine Funktion.

Kos: Für mich sind diese Plastikbahnen mit Ösen das Rätselhafteste in der Ausstellung. Komischerweise sind diese Planen für mich am weitesten weg von der Lebenserfahrung. Ich weiß nicht warum.

Fuchs: Tagwerker bringt sie natürlich wirklich weg vom Alltag, aber es bleibt was drinnen davon.

Achleitner: Für mich gibt es ein Geheimnis in dieser Arbeit. Wenn ein Stoff über etwas gespannt wird, entsteht bei den eingezogenen Knöpfen der bekannte ›Polstereffekt‹. Aber diese Plane hängt hier völlig frei. Durch die Schwerkraft entsteht eine ähnliche Bombierung wie beim Tapezieren. Aber die Stifte ziehen den Kunststoff nicht einmal an die Wand. Nur durch die Schwerkraft hält er. Das ist fast ein Wunder, sozusagen ...

Tagwerker: Das ist ja eine Funktion der Öse, etwas aufhängbar oder spannbar zu machen.
Achleitner: Aber wahrscheinlich entsteht die Spannung nicht dadurch, dass der Stoff befestigt ist, sondern dass er nur hängt und dass die ›Fläche‹, die ein Gewicht hat, sich ausbaucht. Bei den Spiel gelungen sieht man ganz genau, wie dieses Kraftfeld um die Nägel herum die Fläche total verändert. Das ist, wenn man will, eine physikalische Demonstration von ganz bestimmten materiellen, statischen Zusammenhängen.

Fuchs: Man sieht da genau an der Beschreibung, der Interpretation, wie man das Material zu beachten beginnt und wie man zu beachten beginnt, wie das Material funktioniert in diesem konstruierten Zusammenhang. Das habe ich mit Funktionalität auch gemeint.

Kos: Das heißt, es ist ein ernst zu nehmendes Material. Es wird ein Formschema angeboten, damit ich es erkunden und untersuchen kann.

Fuchs: Der Alltagsfunktionalismus bedingt ja auch, dass diese Dinge gewöhnlich nicht mehr wahrgenommen werden. Ösen und Nägel - die funktionieren, aber verschwinden auch - so wie die Sprache, die benutzt man, aber sie verschwindet gleichzeitig als reales Ding, reales Medium aus dem Bewusstsein. Oder auch das Klebeband - das Klebeband benutzt man, weil man damit etwas anklebt. Aber was heißt das, wenn jemand ein Klebeband nimmt und buchstäblich dem Klebeband eine Abbildung verschafft, indem er es an die Wand klebt. Das expliziert sozusagen die Funktiona-lität eines Materials, gerade weil es nicht als Mittel zum Zweck benutzt wird.

Kos: Mir kommt vor, dass sich ein gewisser Mainstream in der Kunst entwickelt hat, dort wo es in Richtung Skulptur, Raum und Räumlichkeit geht. Es ist so, als ob man sich kaum mehr andere Aus-gangspunkte für eine gelungene Arbeit vorstellen könnte als vorgefundene, aus Kontexten herausgenommene, uminterpretierte Materialien. Solche Geschichten gab es schon vor zehn Jahren - die Großskulpturen aus Einkaufswagen in Berlin von Olaf Metzel, ich denke auch an eine der interessantesten neu angekauften Arbeiten im Wiener Museum für Moderne Kunst, Rosa El Hassans Arbeit mit Haltegriffen aus öffentlichen Verkehrsmitteln. Es fallen mir kaum mehr Arbeiten ein, die autonom aus auratischen Materialien entstehen, sozusagen offene Materialien, die auf eine künstlerische Bearbeitung warten, wie Stein oder Holz.

Tagwerker: Gibt es das noch - ›auratische Materialien‹?

Kos: Sicher, expressionistische Maler haben eine Zeit lang Holzskulpturen à la Polynesien gehackt. Was mich interessiert ist: Reizt es nicht mehr, Kunst aus Rohmaterial herzustellen? Könnte das nicht interessant sein, als Kontrast zu all den gefundenen Materialien?

Fuchs: Bis in die sechziger Jahre hat man Stein oder Metall verwendet, um etwas anderes damit zu machen. So wie man mit Ölfarben Köpfe malte und mit Holz oder Stein Nackte gestaltete. Das ist damals als eine Verlogenheit interpretiert worden. Dieser Hang zur Reflexivität des Materials selbst, zu seiner Geschichte und seiner Funktionalität, das ist etwas, was du nun als Mainstream bezeichnest.

Achleitner: Das ist natürlich genauso ein architektonisches Thema. Auch Architekten versuchen Materialwir-kungen zu erfinden, Oberflächen neu zu sehen oder neu zu kombinieren oder sie aus ihren alten repräsentativen Rollen herauszulösen. Für mich ist es schon ein sehr weiter Weg, wenn man mit Ösen und einer Plastikplane diese Wirkung erreicht. Solche Arbeiten sind für mich enorme Erfindungen.

Kos: Also das Finden reicht nicht, dann kommt erst das Erfinden?

Fuchs: Gerold, du arbeitest doch auch mit Bildbegriffen, Medienbegriffen. Du siehst auch Dinge in der industriellen Realität unter bestimmten medialen Aspekten. Wie stehst du zum Beispiel zur Ölmalerei?

Tagwerker: Auratisch bezeichnete Materialien könnte man also noch als solche beschreiben, die man so behandelt, dass daraus eine neue Form entsteht. Oder eben bei Ölmalerei verwendet man ein Mal-material in Form flüssiger Farbe auf einem Träger, um daraus ein Bild entstehen zu lassen. Mich interessiert bei meiner Arbeit dieser Umgang so nicht, obwohl ich viele solcher Arbeiten sehr schätze. Ich möchte aber nicht selbst mit einem artifiziellen, künstlich-künstlerischem Material arbeiten, sondern hantiere lieber mit alltäglichen, sozusagen vertrauten Materialien. Da können sich manche dann als Materialien mit quasi malerischen Qualitäten erweisen und auch so eingesetzt werden.

Welzer: Das möchte ich doch kurz fragen, weil das beschäftigt mich schon die ganze Zeit: Was ist dann Materialgerechtigkeit?

Fuchs: Ich habe die Gegenvorstellung formuliert mit den bronzenen Nackten. Materialgerechtigkeit ist noch keine präzise Definition. Material kann in vielerlei Hinsicht eingesetzt werden, aber es kann auch in einen reflexiven Prozess verwickelt werden durch verschiedene Arten von Anbringen, der Verarbeitung oder Gestaltung. Materialgerechtigkeit ist vielleicht auch als Kampfbegriff zu verstehen in Hinblick auf Materialungerechtigkeit. Der Begriff ist nicht wirklich scharf definierbar.

Achleitner: Wenn Tagwerker statt diesen Ösen nur Löcher gestanzt hätte, dann würde das alles aufreißen.

Welzer: Genau, aber dann sehe ich ja auch, dass das Material so und so arbeitet. Der Effekt wäre genau der gleiche wie wenn man sagt: Ich hänge es nicht auf Ösen, sondern lasse es sich verziehen oder schlaff runterhängen.

Achleitner: Dann wäre er ein Prozesskünstler ... (lacht)

Welzer: Eben, aber ich wollte sagen, dass mich beim Wort ›Materialgerechtigkeit‹ das Pathos stört. Als hätte das Wort eine Bestimmung in sich selbst, der man gerecht werden kann und soll. Das hat auch so was Didaktisches. Warum soll man dem eigentlich gerecht werden?

Fuchs: Es ist natürlich keine reine Selbstbeschreibung des Materials um der Selbstbeschreibung willen. Wenn man in historischen Bezugsfeldern - zum Beispiel an Robert Morris und seine Filzmatten - denkt, wo bestimmte Kausalität ins Kunstwerk hineinkommt. Bei Morris ist es nicht nur so, dass er das Material aufhängt, und das fällt dann irgendwie. Er setzt bestimmte Schnitte. Er gibt also ein gewisses Konzept vor, eine ästhetische Leistung. Er präformiert ein bestimmtes ästhetisches Resultat. Das Material tritt nicht immer nur in einem Zusammenhang auf. Ein neutrales Material für sich gibt es nicht. So, wie es eine neutrale Sprache nicht gibt. Es gibt immer nur Verwendungs-zusammenhänge, die ein Ding definieren. Für mich sind diese Ösen genau der Moment, diese Relationalität einer Definition, die in das Material hineingebracht wird. Auch wenn es nur aufgehängt wird, ist das eine Definition, die dem Material widerfährt.

Kos: Es gibt also kein vorgegebenes Material mehr, aber es gibt einen vorgegebenen Raum. Das ist die leere Galerie, in der theatralisch agiert werden kann. Das hier ist eine Ausstellung, die mit diesem Potenzial agiert. Wir können uns kaum eines der gezeigten Objekte in einer Pizzeria oder im Baumarkt vorstellen - das geht nicht –, man kann sie nicht rücktransferieren in ein ungeordnetes Umfeld. Sie brauchen Ordnung als Umfeld, um dann ihre spezielle Poetik ausagieren zu können. Sie können in der Wildnis nicht bestehen.
Fuchs: Im Grunde sind das Ordnungssysteme. Es sind Definitionen. Definitionen dessen, was sonst aus dem Bewusstsein verschwindet. Dass Material immer in einer bestimmten Konstellation und Funktionalität auftaucht, nimmt man ja nicht mehr wahr, es ist aber immer so. Der Künstler gibt dem Material eine Struktur auf eine Art und Weise, die diese Struktur deutlich wahrnehmbar macht. Das ermöglicht Reflexivität. Das ist ein Ordnungssystem. Der Baumarkt ist sozusagen schon geordnet, aber er ist keine explizite Ordnung, keine thematisierte Ordnung und keine Darstellung einer Ordnung.

Kos: Die Frage von kunsthistorischen und historischen Museen ist, was sie heute sammeln sollen. Schauen wir einmal, wenn ein Supermarkt schließt, und dann kaufen wir alle Produkte von diesem Tag, aber es wird noch fünfzig oder hundert Jahre brauchen, bis diese Dinge so exotisch sind, dass jemand bereit ist, sie mit einem Museumsblick anzuschauen. Durch einen Kaufmannsladen, der 1962 zugesperrt hat, geht man bereits mit einem gewissen Interesse hindurch. Bist du Sammler? Oder besorgst du gezielt das, was du dann verarbeitest?

Tagwerker: Es hat doch fast jeder so einen Hang zum Sammeln von allem Möglichen, das fängt mit einer Art von Ansammlung an, die dann als solche präsent wird und eben irgendwann sortiert werden muss. Aber ich bin keiner, der aus Passion und purer Lust Dinge sammelt und sie mit nach Hause nimmt. Da muss etwas schon sehr reizen oder eben eine Idee provozieren, dass ich zugreife. Diese Dinge liegen dann zum Teil sehr lange herum, bis ich sie wirklich für was verwende, wie auch die Fotos erst mal in einer Schachtel sortiert und sozusagen archiviert werden, bis man sie dann mal herausholt. Ich identifiziere mich aber eigentlich mit einem Verhalten, bei dem man davon ausgeht, dass Dinge irgendwo auf Lager liegen und man sie dann besorgt, wenn man eine konkrete Idee hat und weiß, wofür man sie braucht und was man damit anfangen könnte.

Kos: Eine These wäre also: Um so alltäglicher die Quellen sind, die ich als Künstler benütze, um so wichtiger wird der Umwandlungsprozess. So wie die Malerei, die eigentlich nichts anders ist als Leinwand plus chemische Substanzen, die dann auf Grund kultureller Prägungen als irgendwas erkannt wird. Seit es Kunst gibt, geht es darum, etwas anderes aus etwas zu machen. Ob das jetzt Dichtkunst oder bildende Kunst ist... Meine These ist jetzt diese: Um so mehr ich am Unscheinbaren ansetze, um so stärker wird der Akt des Umwandeln, des neu Machens. Und daraus entsteht dann eine Setzung, die grundsätzlich etwas anderes sein muss als die Herkunftswelt des Alltags. Die Figur des Künstlers wird umso grösser und interessanter, umso unscheinbarer das Zeug ist, mit dem er sich in seiner Arbeit einlässt.

De Vlieghere: Es gibt für mich etwas, das in allen Arbeiten präsent ist. Das ist die Codierung, die an die Codierungen erinnert, die man auf Produkten im Warenhaus findet. es ist, als ob der Künstler durch diese Codierung das Geheimnis des Materials untersucht. In jeder Arbeit finde ich einen Code, der irgendwie verantwortlich sein könnte für das Geheimnis des Materials. Wenn man die Codierung entziffern könnte, dann wüsste man, was vielleicht hinter dem Industriellen und Maschinellem dieser Produkte verborgen liegt. Auch die Fotos scheinen diese Codierung zu tragen.

Fuchs: Es gibt bei den Fotos auch immer einen Raum dahinter, auch bei diesen Plastikfolien in dieser Form von Überlagerungen. Aber gleichzeitig stellt man bei diesen Arbeiten die Tendenz fest, keine Räumlichkeit zuzulassen, sondern sie irgendwie als Illusion darzustellen, als eine Fläche.

Kos: Es gibt doch Kulturen, wo dieses Vorhängen, Verhängen und das Einwickeln viel zentraler ist als in unserer. Ich war in einem islamischen Staat, wo ich plötzlich bemerkt habe, dass es kein modernes Gebäude gibt, bei dem nicht Blendfassaden wie Schleier vorgehängt sind. So, als ob ein fünfzigstöckiger Bau einen ornamentalen Schleier trägt. Ornament ist nicht nur ein reines Regelsystem, sondern Ornament hat meistens auch eine Funktion - wie hier, wo es eine Schicht- und Schutzzone gibt.

Fuchs: Das ist eine sehr rationale Form von Ornamentik, vom Begriff des Ornaments aus betrachtet. Insofern ist es eine sehr zeitgemäße Form von Ornamentik.

Achleitner: An sich nicht, man muss untersuchen, wie so ein Quasi-Ornament nicht aus ornamentalen Grün-den, sondern aus funktionalen entsteht. Ich kann es natürlich aber auch als reines Ornament lesen.

Fuchs: Insofern Ornamente als vorgeblich inhaltsfreie Formen eigentlich immer sehr genau über eine bestimmte Ideologie Bescheid geben. Ornamente haben diese Funktion. Diesen Ornamentbegriff habe ich damit gemeint.

Achleitner: Das ist eine gewisse Gefahr bei diesen Fotos. Dass deren Struktur eben nur mehr als Ornament wahrgenommen wird. Sie wird aus einem funktionalen Kontext herausgeholt, wird dargestellt, ist plötzlich nur mehr "schön". Wenn man nicht mehr die ganze Komplexität wahrnimmt, sieht man nur mehr Ornament.

Welzer: Eine Gefahr, die hier bei der Lichtarbeit darin unterlaufen wird, dass sie hinterleuchtet ist und mit dieser Beleuchtung eine andere Funktion bekommt.

Fuchs: Man könnte mit dem Begriff der Transparenz arbeiten. Es gibt Transparenz als etwas, das nachvollziehbar bleibt, also zeigt, wie das Ding funktioniert. Dass es nicht einfach nur eine Stromleitung ist, nur ein gestanztes Blech, dass es ein schönes Ding ist, aber auch wieder ganz banal. Dass man im Wahrnehmen rekonstruieren kann, das meine ich mit Transparenz.

Kos: Das macht man dauernd, dass man umfunktionalisiert, sich etwas sucht und verschönt. Insofern glaube ich, dass es gar nicht anders geht, als dass man sagt: "schön", "interessant". Letzlich geht es um diesen extrem relativierenden Begriff "interessant". Es gibt Leute, die alles interessant finden, wenn jemand ihnen dabei hilft, diese Sachen scharf oder präzis zu machen.

Schuler: Man muss dafür auch bereit sein.

Kos: Ja klar, Kunst ist auch eine Schule, um dafür bereit zu werden.

Fuchs: Kunst als angewandte Philosophie oder als angewandtes Denken, materialisiertes Denken. Es geht ja beim Sprechen darüber darum, dass man verschiedene Schichten ablöst von einem Ding, Distanz zu dem Ding gewinnt, um es auch wieder in den Blick zu bekommen.

Kos: Es ist schon wie beim Froschkönigmärchen. Wenn sich jemand den alltäglichen und nichthinterfragten Dingen zuwendet und diesen eine gewissermaßen zärtliche Aufmerksamkeit entgegenbringt, mit ihnen Experimente durchführt, sie analysiert und befragt, dann erlöst er sie aus ihrer Nichtvorhandenheit, aus ihrer Verschüttetheit.

Achleitner: Dass ein Aspekt verschwindet oder eben erscheint. Erst durch die Beschreibung der Bilder kommt vieles, Schicht für Schicht heraus. Erst wenn man ein Ding beschreibt oder beschreiben muss, kommt man drauf, wie vielschichtig die einfachste Sache ist oder sein kann.

Das Gespräch fand am 1. September 1999 im Rahmen der Ausstellung ›neunundneunzig‹ von Gerold Tagwerker in der Galerie Grita Insam, Wien statt;
Redaktion: Dieter De Vlieghere.


Recycling Minimalism? ↑ top

A conversation with Romana Schuler, Rainer Fuchs, Friedrich Achleitner, Wolfgang Kos, Gerold Tagwerker, Harald Welzer

Schuler: While preparing for this conversation I came across a remark by Ludwig Wittgenstein that Donald Judd once quoted in a lecture on art and architecture in the eighties: ›It is difficult to start at the beginning without trying to go back still further.‹ One could use this statement to open our discussion. Should we see a connection between this show and the Minimal Art of the sixties - as suggested by the title - we should perhaps first look at it's art more closely and compare it to that of the nineties in order to put Gerold Tagwerker's work in an historical perspective. Beginning in the sixties, Minimal Art was seen right through the seventies until the beginning of the eighties as a movement restricted to the themes of art and critical of traditionalism in art. But the sixties were also a highly political decade full of strife: the civil rights movements, student agitations and protests against the Vietnam war. Since several proponents of Minimal Art were politically active, younger artists saw their art to be as political as the art of the Russian Revolution. The discourse and ideas of the nineties, on the other hand, were entirely different.

Fuchs: Detecting the connection between Minimal Art and Gerold Tagwerker's work seems particularly interesting to me. Obviously, because of the way Minimal Art has been received so far one can interpret it in several manners. No doubt, the sixties strived for highly significant political goals and challenged the paradigms of the times as well as certain forms of traditionalism. As far as this is concerned, one could call Minimal Art political, but it should still be seen in the context of the sixties and the seventies. ›Perceiving perception‹, that is, a perception of the Self, was another important aspect. The viewer was seen as the co-constructor of the object, in a sense, the work itself was conceived to make perception a conscious act. This theory of perception has been modified since then. One used to assume that a subject, such as a neutral observer (a kind of ontological, physiological act of view-ing), existed. Of course, this theory was revised later. Perception is not a purely physiological act but is also determined by social aspects. Several theories upheld in those days did not prove sustainable. Donald Judd's statements, in particular, prove that such assumptions ultimately outlive themselves. All that solemnity and non-relation, the refusal to compose and the emphasis on an aura couldn't really prevail. Minimal art works have become icons of art history, and what one may call ›glory‹ can be felt in the presence of such exhibits. When one looks back at Tagwerker's earlier works, one doesn't sense an inhibition toward any particular medium. The refusal to paint was the paradigm in those days. According to Judd, anything that protruded less from the wall than its height was painting and whatever protruded more than its height was an object. Painting eventually abandoned the wall and entered the room as object. Even this is no longer the theme today, which makes other forms of discussion possible. Let's look at Tagwerker once again. He shows us that the material itself and the way it is used lends new body to the picture. As in his striped paintings in the middle of the nineties, he redefines painting by placing both the material and the picture in a different context. With the change in context, the artworks represent a different notion of pluralism in art; of articulation; of discoursiveness as well as new linguistic dimensions. In those days the attempt was to strip art bare of all narrative or referentiality. This counter-position to European art was an essential and manifesto-like stance for the artists then. This is only comprehensible within an historical context and is no longer important for artists like Tagwerker.

Achleitner: There are two things I would like to add here. In ›Open Artwork‹, published in 1962, Umberto Eco assigned a major role to the recipient. But I'm also reminded of serial music of the late fifties and early sixties. This is only partially true in that context because the element of chance does not play such an imPORT 62,178,191,169,129,12 related to environment, ecological problems and
squatting, but I was not in the foray. There were no wars then, but much rather acts of solidarity. In the late eighties or in the nineties art itself wasn't directly involved in any conflict that was ex-pressed in manifestos or dogmas. However, as somebody who was never confronted with any form of combat, such attitudes always fascinated me because all I was confronted by was an ›anything goes‹ -attitude in art.

Kos: A desire to take a stand?

Tagwerker: Yes, a desire for a stand, so to speak, for political visions, objectives perhaps ... (laughs)

Schuler: So there are no prophets any more such as Beuys was in the sixties - whom they still go on and on quoting . He was the classical prophet, a mystic...

Tagwerker: Judd was also one, even if he belonged to another camp. Such prophets can fascinate even today, if only as living legends - and that also makes one sceptical. Russian Revolution art and Minimalism really fascinated me during my student years. Apart from the fact that cyrillic logos and emblems became so chic in those days, even the critical attitudes of these movements become lack lustre and transparent when you look at them more closely. Even so, I feel a great affinity to attempts at deglorifying and democratizing art. That's why we chose to call this discussion ›Recycling Minimalism?‹ I juggle around with similar ideas in my work, that also implies that I am aware of them. I have a very playful approach to art without the ideological solemnity of a manifesto artist.

Achleitner: Wasn't it the demands made on ›art‹ by the recipients, who led to this glorification - more than the artists themselves? On the other hand, Donald Judd's furniture rids itself of its function but doesn't become auratic. But even so, when it is grouped together in a show, one feels as though one's walking through a chapel.
Schuler: The moment one puts something in a gallery or in a museum, one runs the risk of never deglori-fying it.

Fuchs: I think other factors also play a role. To begin with one has to contend with the art market, and then in the sixties one was revolting against something. The artists didn't want to be only destruc-tive, they staged themselves as the new heroes. They did it really well and to some extent even succeeded in their attempt. If someone ultimately manages to reach a certain level in the hierarchy of self-historicization and becomes conspicuous because of the new standards he sets, then he and what he does both attain importance. Reactions like, ›This is something significant. He can't just happen to be where he is‹, result. The sum of several factors determines the ›value‹ of the work. The awareness of this value, too, makes all further production and reception lucent. One could call this the basis of all auratic presence. Things work and gain meaning in a social and his-torical context, they accrue what one calls an elite status and an ›aura‹. The art market is a crucial factor in this entire machinery.
Whenever I read the texts by these artists, on the battles they fought, I find it hard to believe that they desired democracy so much as to be completely assimilated in the masses and not be no-ticed anymore. This is mere romantic fiction.

Kos: The younger artists do seem to be fascinated by all the dissidence in the mid-sixties. Take for instance the psychedelic phenomena in the techno and remix scene recently. Just think of the light shows where a chemical fluid is projected onto the walls through tiny plates of glass. The image changes every split of a second and can never be repeated. Once started, these forms become absolutely uncontrollable. I am thinking of Ugo Rondinone who's not ironical at all - or Pipilotti Rist. Her early videos really fascinated because they were so evocative of the glimmering, floating, out of focus quality of the sixties - terribly emotional, to the point of being kitsch. Funnily enough, it was an out-of-control play of colour, sound and smell that led to a complete muddle. On the other hand, in the late sixties there was this attempt at clarification, precision, a kind of formal and material fetishism. There does seem to be a common denominator: breaking bounds and the dissolution of everyday banality. Everything was ›mystical‹, from the hippie stuff to the rigidly formal. A whole lot of other, important movements followed, IKEA for example. How far are we conscious of this excess of materials we are deluged in? I mean, at what point do we as conscious individuals find it impossible not to lash about like kids in a big pool where just about everything exists.
Tagwerker's work reveals an awe at what one can do with all that found stuff - he sort of revels in the abundance of options. One senses the appeal of all the stuff, that just about everything is fascinating. The decisive question for this generation of artists must necessarily be, ›How do I select, where do I draw limits and how can I prevent myself from getting lost in all this abundance?‹ Perhaps the difference between good and not so good art depends on this question.

Schuler: I have watched Gerold's work over the past few years and noticed with what logic he has followed it. He started with the drawings and went on to the wood and later adhesive tape work, which began as rectangular pictures and then extended to the wall and finally into space. I spoke of the step toward ›sculpture‹ because, as a reflection the viewer became part of the picture and moved about in these strips. I see a distinct and important new development in this show, a major change. Was it because you became deeply interested in architecture and worked with architects?

Tagwerker: That probably is the reason. I worked with architects quite a lot in the past few years or participated in their projects as artist, let's say, as art consultant. A new view on various things opened up. Alongside the aesthetic and formal levels, architecture also includes the functional aspect. The aesthetic quality and effect of materials, particularly in the case of industrial products and mate-rials, also comes in. These aspects definitely fascinated me and have surely flowed into my work.

Fuchs: When I call the tape pictures to mind, I see a wide range of approaches to the works on exhibit here. Tagwerker seems to follow a system and a structure which he expresses in different ways in his current work. He uses different materials, different combinations, for instance, layering and transparency so that the material becomes more explicit. These strips - on first glance one tends to think they are painted - are in fact real material. This is actually a contradiction to fiction that painting creates through colour.

Schuler: You can't identify the material if you haven't seen the originals. The tapes can be very misleading in reproductions.

Fuchs: In that sense, he leads us onto a number of schemes and propositions, which may have nothing at all in common on first glance. And then one starts figuring out where the point of convergence could be. The relation to architecture is an important basis; that is, thinking in terms of space and material. Architecture in Tagwerker's work is even more important than Minimalism. Tagwerker merely poses questions, but gives no answers in these works. They are projections for us to link with. I can link with them now in my way, each one of us does that, but the result is always differ-ent. This is where the structural openness in reception lies.
Welzer: Isn't it a problem that one never allows this openness because one starts interpreting immediately - that's what we are doing right now. We can't accept the fact that somethings defy solutions, that the quality of an exhibition may be this refusal to be decoded. We have made so many attempts at categorizing Tagwerker's art as Minimalism or architecture. It might just be unfair to try to find a common denominator for very disparate things. The production of meaning functions automatically in this way. Somehow, we ourselves just don't dare - nor can can we demand it of Gerold - to say that this is a totally disparate and heterogeneous show, all these things have nothing at all in common. By even just allowing this notion some degree of importance, one could see Tagwerker's show for what it is without trying to interpret it. I mean, we would understand his intention better if we wouldn't say, ›I discern this or that in it‹.

Fuchs: One goes to the show and sees how disparate the things are, starts looking for the implications; one begins to decipher, which in a way also sets these objects free again. What one does realize, is that a lot of things can neither be comprehened through language nor mediation. Ultimately they are all visuals facts that one ought to perceive. That it is essential to see the point in them or to find the structure underlying them, is sheer nonsense...

Welzer: But that's exactly what always happens. It's like the Pavlovian dog. It is something one does automatically on entering an exhibition. One expects of oneself to grasp it logically. One could say, ›This is rubbish‹. But that is the same as saying, ›This goes very well together‹. The meaning each of us produces takes on primary importance. The most important question in this show ought to be, ›Do all these things fit in at all?‹ For all practical purposes, it could be a group show on totally disparate subjects. It could have been done by five different artists. It is quite plausible and I can well conceive of it.

Achleitner: One work, however, is slightly out of context. I mean the architecture photography. What is com-mon to it is the material, the structure, the depth, the uniformity, the coincidental effects of mirror-ing or the role of space. That's beautiful and is heightened by the element of chance, which also complicates things. First and foremost, the architecture itself is horrendous. One important aspect, however, is that one can practically ›walk into‹ the photographs. The format dissipates the sur-roundings and one is faced with just a texture, which in turn is only a photographed surface. This reality differs completely from that of the other works in the show. Architecture is just a pretext. It is no longer present as reality but only as its representation, as a focused, compacted and to some extent an ›abstracted‹ reality. They could perhaps relate with the other works when the size of format produces another dimension of reality. I now ask myself, what this relationship is.

Fuchs: To me the quality of the photographed architecture is not so relevant. I think that it is important to ask oneself if these photographs are really only photos or are they also things in themselves. Besides, the motif of the photographs works against the surface. It is like folding up a room. An incredibly forceful and powerful spatiality is constantly insinuated by these surfaces. Leaning against the wall repeats and reinforces this notion. The thing has a weight of its own, it leans - it is stable. It is no coincidence that the photographs are black and white. In this way, Tagwerker is not telling me about a specific building but about a particular texture. Architecture provides him a textural motif.

Kos: These buildings are obviously a sort of armour, a skin, a kind of shell, something of a chainmail vest made of industrial materials - like Tagwerker's objects. So things possess a face, an outer zone. One tends to ask oneself how much chance is contained in these structures and how much the functionality of packing materials, etc. That makes me return to my question, ›Where does the artist find or what questions lead him to find the affinity infinitely present in commercial products?‹. One can see that the retail objects are just as fascinating to him as huge structures, such as the multi-storied administration building.

Tagwerker: Sure, there is such a plethore of materials and prefab products. A baffling supply of things exists in the DIY or other stores, call them IKEA or whatever. I delight in the entire range of these supplies. My own selection is, of course, based on my subjective aesthetic perception or need. I may see a material whose aesthetic qualities appeal to me and remember it, perhaps only because I use it all the time - like adhesive tape or sandpaper. Repeated use or memory of the material may lead me to use it in my work, or to thematize it. Something in the subway, or a product in an underground parking lot like a cable canal, whose perforated ornamentation I might find aesthetically attractive, may catch my eye and become etched in my mind. If something catches your eye once you seem to see it again and again. I select various concepts before doing a work and ultimately decide for one of them because it speaks for itself. That's how I start a new work.

Kos: When this affinity does emerge, it has to do so with a certain intensity. Search and discovery don't happen incessantly. One neither searches nor does one find all the time.

Tagwerker: That is impossible...

Kos: Because you coudn't process it then. It would end in chaos. Well, there seems to be a need for reduction then - like the fisherman who doesn't keep every fish he catches but throws several back into the water.

Achleitner: That's what's so exciting about it. By taking out something so everyday that you don't even notice it anymore and by placing it into an entirely different context, one can make it reveal its inherent or even new qualities. Here the artist makes something visible which a thing superficially does not have, like the manipulation here that makes light enter into a cable canal. Because the structure has to produce something entirely different now, its entire appearance changes.

Kos: As in a celluloid film, suddenly there is light - because of the perforations - ...
Tagwerker: I'd like to go back to the photographs here and answer an unresolved question: I've been working on this series since 1995, which led to an enormous archive of architecture photographs. I took them on my walks through various cities. Small prints of all photographs are then archived in an index file. I go through them from time to time and look for an affinity to other works, try to find relations and references. Then I group them together or show them in exhibitions. I find this modest architecture, that is not printed in any architecture guide, most fascinating. I feel attracted by its cool anonymity, its banality and boredom, by the endless repetition of one and the same element. Of course, I value very different qualities in architecture, but that's not the point of this work. I don't want to give this architecture any exceptional position, I just use it as material and photograph textural details of the banal and the commonplace. I then enlarge them to these trashy black and white prints that I mount on chip board. When I group them together with other pieces as I have in this show, I am primarily interested in associations that emerge while walking back and forth between the staged installation of the individual pieces.

Fuchs: That's the entire point of function, of functionality. All these things are reminiscent of devices. Architecture too is a functional phenomenon. Then again, these sheets of plastic and how they're hung...

Kos: Well, they don't remind me of anything functional.
Fuchs: No, because it is so explicit - that they're hanging on the wall and that one requires metal eyelets so that they don't fall off. It is immediately clear that it makes sense, that they have a function.

Kos: To me these sheets of plastic with metal eyelets are the most enigmatic objects in the show. They are farthest away from life. I don't know why.

Fuchs: Of course, Tagwerker really does remove them from the everyday and yet something of it remains.

Achleitner: There is a mystery in these works. When something is upholstered with a material, a ›cushioning- effect‹ results around the buttons. These sheets, however, are just hanging freely. The downwards pull of gravity causes a similar cushioning as in upholstery. The nails don't actually pull the mate-rial back toward the wall, it only stays there because of gravity. It is almost miraculous...

Tagwerker: That is actually the function of metal eyelets. They help to stretch or hang.
Achleitner: Perhaps the tension results because the sheets are only hanging and not fastened down. The very weight of the ›surface‹ creates the bulges. One sees quite clearly in the reflection how the energy field around the nails completely alters the surface. One could call it a physical demonstration of very specific static and material correlation.

Fuchs: One sees how by describing, interpreting, one becomes attentive to the material and its function in this devised context. That's what I meant with functionality.

Kos: It means that this material should be taken seriously. A scheme of forms is presented here to be investigated and explored.

Fuchs: Functionalism in everyday objects that surround us makes one ignore these things. Eyelets and nails function but also disappear - like language, though constantly used, vanishes as a live medium from our consciousness. For instance, adhesive tape that is used to stick something. But what does it mean when a person takes a tape and literally creates a representation of the very tape by sticking it on the wall? The functionality of the material is clearly defined when it is not used as the means to an end.

Kos: I feel that a kind of mainstream has emerged in the field of sculpture and spatiality. It seems as if hardly any other idea can underlie a good work than found, de-contextualized and re-interpreted materials. Such ideas existed in art even ten years ago - as in the big shopping cart sculptures in Berlin by Olaf Metzel. I am also thinking of the new acquisitions by the Museum of Modern Art in Vienna, for instance, Rosa El Hassan's work with train and bus safety straps. I can hardly think of other autonomous auratic materials, open materials, so to speak, that are waiting to be used by the artist, like stone or wood.

Tagwerker: Can one still speak of ›auratic materials‹?

Kos: Certainly. Expressionist painters hacked around at wood sculptures ›à la Polynesian‹.
What I ask is: Is it no longer fascinating to make art with raw materials? Can't it be an interesting contrast to all this found material?

Fuchs: One tried to do something with stone or metal right into the sixties. I mean the way one painted or sculpted heads or formed nudes in stone or wood. It was seen to be a pretension in those days. This obsession with the reflexivity of material, its history and its functionality, is what you are call-ing mainstream.
Achleitner: This, of course, is also a theme in architecture. Architects, too, try to produce new effects with materials, to see surfaces in a new light, to combine them innovatively, or to free them of their conventional roles.
To me inventing new effects by combining plastic with metal eyelets is taking it quite far. Such works are fabulous inventions.

Kos: So, just finding doesn't suffice, you've got to invent?

Fuchs: Gerold, your work is concerned with the redefinition of painting and media. You even see industrial things as a medium of art. What are your views on oil painting?

Tagwerker: Auratic materials can be described as those which lead to new forms when treated differently. When a thinned, fluid material is applied on a support to create an image it is oil painting. I am not so interested in this kind of process even though I have enormous respect for such work. I myself don't want to work with this artificial, art oriented material. I rather enjoy playing around with everyday materials, I mean stuff I am familiar with. Some of the materials prove extremely painterly and can also be applied in that way.

Welzer: I'm really curious about one thing here: What then does justified use of material mean?

Fuchs: I tried to formulate the very opposite when I spoke of bronze nudes. No precise definition for justified use of material exists yet. Material can be used in a number of ways, but it can also be involved in a reflexive process by varying the application or the way it is prepared or formed. Appropriate use of material as opposed to its inappropriate use, is perhaps also to be understood as a controversial conception. The expression can't really be defined distinctly.

Achleitner: Had Tagwerker simply made holes in the material instead of the metal eyelets, it might have torn.

Welzer: Exactly. But that would also show me that the material reacts in this or that way. It's like saying, ›Rather than hanging it on metal eyelets, I am going to let it stretch out of form or just let it hang down limply.‹

Achleitner: He would then be a process artist ... (laughs)

Welzer: Precisely. What I really wanted to say was that I am bothered by the pathos in ›appropriate use of material‹. As if the material contained some sort of self-determination should be used appropriately. It is so didactic. Why should be this done appropriately?

Fuchs: Of course it doesn't mean that material describes itself just for the sake of self-description. In an historical context, take for example, the felt mats of Robert Morris, a certain causality enters the artwork. Morris doesn't simply hang the work so that it hangs down just any which way. The way he cuts it is in itself a precondition, an aesthetic accomplishment. He structures the aesthetic results. Material doesn't necessarily appear in the same context, no material is inherently neutral, the way no language is neutral. What exists is a connection between the contexts that define a thing. For me, these metal eyelets are the relation established by a definition that is brought into the material. Even if the material is only hung, it is as the result of a definition.

Kos: In that case there is no precondition of material but only that of space - the empty gallery - in which something can be staged. This here is an exhibition where something is acted out within a given potential. We can't conceive of any of these exhibits in a pizzeria or in a warehouse - that's impossible. One can't transfer it back into an environment without order. To be able to reveal their own poetry, they need a certain order around them. They can't survive in wilderness.

Fuchs: Basically, they are regulatory systems, definitions. They define what would otherwise vanish from our consciousness. When material repeatedly appears in a given constellation and function, one stops taking note of it. It's always like that. The artist can structure material in a way that makes this structure perceivable. It allows reflexivity. That is a systematic structure. The DIY store is always organized, but that is not an explicit order. Order is neither its theme nor does it represent order.

Kos: Art history and historical museums are asking themselves what they should collect. If a supermarket shuts down today and we were to buy up its stock - it would still take us fifty or even a hundred years before the commodities become exotic enough for anyone to see these things as museum pieces. But a shop that closed down only in 1962 seems interesting enough already. Are you a collector? Or do you buy exactly the things you want to work with?

Tagwerker: Almost everybody has a passion to collect, starting with hoarding things that eventually need to be sorted out. But I'm neither a passionate collector, nor do I take stuff home for the sheer desire to collect. The thing has to be especially fascinating or evoke concrete ideas in me. These things can lie around for quite a while before I ultimately use them. The photos, too, have to be first assorted and archived in boxes before I take them out again. I perceive of myself as someone who sees things as stored away somewhere. I only go and get them when I have a concrete idea of what I want to and what I could do with them.

Kos: One approach would be, ›The more commonplace the source that I draw from as an artist, the more important the process of transformation‹. Similarly, we can only perceive painting - which is nothing more than canvas plus chemicals - because of our cultural conditioning. Art, whether it is literature or fine arts, has always been guided by the desire to transform things. My premise is: The more inconspicuous the subject of my interest, the stronger the act of trans-forming it into something new. The result then is a proclamation that has to be intrinsically different from its commonplace origin.
The artist grows in stature commensurate to the insignificance of the stuff that he decides to work with.

De Vlieghere: To me the coding that pervades all the work is reminiscent of the codings on warehouse products. The artist seems to explore the materials on the basis of this coding. I see that the code present in every work probably creates the mystery of the material. If one could decipher the code, one would perhaps discover what lies concealed within these machine-made industrial products. Even the photographs seem to carry this code.
Fuchs: There is always a space behind the photos, there is a sort of layering in these plastic sheets as well. At the same time, one can also see that by denying spatiality, they seem to depict an illusion in the form of a surface.

Kos: In certain cultures curtains, veils and drapes play a more essential role than in ours. I was once in an Islamic country where I suddenly realised that no modern building was without a curtained, veil-ed facade. It seemed as though even five-storied houses wore an ornamental veil. Ornament is not only a system of rules, it also has a function. Here, for instance, it is a stratified and safety zone.

Fuchs: Going by the way ornament is commonly defined, this is a very rationalized form of ornamentation. In this sense, it is a very contemporary form of ornamentation.
Achleitner:Not really, considering the reason behind such quasi-ornamentation is not the ornament but function. But I could simply read it as ornament.
Fuchs: Because the ornamental form that is ostensibly free of content conveys very precise information about specific ideologies. Ornament always has this function. That's how I meant to define it.

Achleitner: The danger I see in the photographs is that their texture could be read as only ornament. When ornament is taken out of its functional context and simply presented as such, it tends to be just ›beautiful‹. Without its entire complexity, one only sees it as ornament.
Welzer: One pitfall in the light object could be that it is lit from behind. This form of lighting could alter its function.

Fuchs: One could, however, operate with the term transparency. There is a kind of transparency that remains comprehensible, that is, it shows how the thing works. It shows that it is not just electric wiring, just perforated metal, that it is a beautiful thing but also banal at the same time. One can reconstruct while viewing, that's what I mean with transparency.

Kos: One keeps remodelling all the time - one takes something and then enhances it. I tend to believe that after a point we can't avoid seeing ornament as a religious symbol, as something ›beautiful‹, ›interesting‹. Ultimately it is all about this extremely relative term: ›interesting‹. But some people will find almost everything interesting if one tries to help them see the point or precision in these things.

Schuler: One has to be willing to do so.

Kos: Oh, sure. Art, too, is a school that equips us for this willingness.

Fuchs: Art is a kind of applied philosophy or applied thought - materialized thinking. While speaking, one constantly peels away the layers of a thing, distances oneself from it to bring it back into focus.

Kos: It is quite like the fairy-tale of the Frog Prince. If one turns to something commonplace and unquestioned and then treats it with tenderness, experiments with it, analyzes it and queries it, one can free it of its traps and non-existence. Achleitner: One aspect may emerge and another disappear, but only through the description of images does layer after layer surface. Only when one describes, or is forced to describe, does one realise how complex even the simplest things are.

The conversation took place on the occasion of Gerold Tagwerker's show ›neunundneunzig‹ in the Grita Insam Gallery, Vienna, on 1. September 1999. Edited by Dieter De Vlieghere.


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Gerold Tagwerker bedient sich der Architekturfotografie und verwendet industrielle Grundmaterialien für seine Skulpturen um rasterförmige Monumentalitäten modernistischen Prägung zu unterwandern. Montiert auf einer hölzernen Konstruktion platziert er große, gewellt verbogene Spiegelflächen so auf dem Boden, dass sich seine fotografierten Architekturen erschreckend zerschmolzen und chaotisch auf ihren Oberflächen widerspiegeln. Wenn der Betrachter sich darüber beugt, kann er sich selbst inmitten einer seltsam gestörten Ordnung sehen. Diese unmittelbare Erfahrung sich in einem solchen Bildraum zu befinden, tritt beeindruckend vor die gegebene starre Ordnung der Raster.
In den Vereinigten Staaten und Kanada hat Tagwerker diese Bilder von Hochhäusern aus der Mitte der fünfziger und sechziger Jahre fotografiert, nicht die berühmten und legendären, sondern die mittelmäßigen, die in allen Downtowns zu finden sind. Lässig aus der Hüfte geschossen, mit nach oben gerichteter Kamera sind seine Bilder flüchtige und zugleich harte Blicke nach Oben. Er zwingt uns, unsere Hälse selbst nach Oben zu recken, um die volle Größe dieser Monolithen zu sehen. Tagwerker macht riesige Abzüge dieser Bilder, montiert sie auf Spanplatten und lehnt sie an die Wand anstatt sie zu aufzuhängen. Sie werden so zu agressiven Stellvertretern der eigentlichen Gebäude, bleiben aber gleichzeitg in einem modellhaften Verhältnis und einer direkten Maßstäblichkeit zum Betrachter.

Kathryn Hixson im Katalog zur Ausstellung ...you sure about this place? - Sioux City Art Center, Sioux City, USA, 2003 und The Pond, Chicago, 2002
(übersetzt aus dem Amerikanischen)


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Gerold Tagwerker, an artist from Vienna, uses architectural photography and industrial-strength sculpture to undercut the grid-like monumentality of Modernist space. Large mirrors are physically rippled and placed on the floor, resting on pieces of wood, so that the architecture is luridly reflected as fluid and chaotic on its surface. Bending over to look the viewer sees himself midst the crazy disorder. The specific personal experience of being in and around build sites takes precedence over the given order of the grid. When Tagwerker was in the States and Canada recently, he took pictures of mid-century high rises, not the famous ones, but the mediocre ones that are ubiquitous in urban downtowns. Casually pointing his camera up from his hip to take the shots, the resulting images are liked pained glimpses upwards; we are forced to crane our necks to get the full force of the monolith. Tagwerker makes huge prints of these glimpses, and mounts them on boards, leaning them against the wall instead of hanging on it. They become aggressive stand-ins for the actual buildings, but are brought down to a one-to-one relationship with the viewer.

Kathryn Hixson ...you sure about this place, exhibition catalogue,
The Pond, Chicago and Sioux City Art Center 2003


Bibliographie/Bibliography (Auswahl ab 1996 / selection since 1996) ↑ top

Christian Teckert - Reflexive Agorithmen / Algorhitmische Dérives,
in: Gerold Tagwerker_zeroXVII, SCHLEBRÜGGE EDITOR, Wien 2018

David Komary - Epiphenomenon - Zur Ästhetik des Beiläufigen in den Arbeiten von Gerold Tagwerker,
in: Gerold Tagwerker_zeroXVII, SCHLEBRÜGGE EDITOR, Wien 2018

David Komary - EPIPHENOMENON - Gerold Tagwerker,
in: RECIPROCITY, Galerie Stadtpark, Krems 2017

David Komary - Zur Polysemie des Rasters,
in: Gerold Tagwerker _grids.zeroXV, Kunstmuseum Appenzell, Steidl Verlag, Göttingen 2015

Nora Sdun - 21 Worte zu Gerold Tagwerker,
in: Gerold Tagwerker _grids.zeroXV, Kunstmuseum Appenzell, Steidl Verlag, Göttingen 2015

Roland Scotti - TW,
in: Gerold Tagwerker _grids.zeroXV, Kunstmuseum Appenzell,
Steidl Verlag, Güttingen 2015

Axel Jablonski - Von der Fassade der Moderne,
in: Fifty Fifty - Kunst im Dialog mit den 50er-Jahren, Wien Museum,
Verlag für moderne Kunst Nürnberg, Nürnberg 2009

David Komary - Impermanent Geometry;
in: Impermanent Geometry, Galerie Stadtpark, Wels 2008

Axel Jablonski - Gerold Tagwerker
in: Ästhetische Komplexe, Kunstverein Augsburg, Verlag für moderne Kunst Nürnberg, Nürnberg 2009

Roland Schoeny - Gerold Tagwerker
in: PARNASS Nr. 1/2008, Wien 2008

David Komary - Gerold Tagwerker: formfollowsfunction,
in: Falter Nr. 51-52/07, Wien 2007

Norbert Pfaffenbichler - CORRIDOR,
in: ABSTRACTS OF SYN, Kunstverein Medienturm, Folio Verlag, Bozen 2007

Dagrun Hintze - Der dritte Blick - Kontrollverlust als Strategie,
in: Gerold Tagwerker zero 1_2_3_4_5, Revolver Verlag, Frankfurt 2006

Keri Butler - Light: The Medium is the Message,
in: BAT - Blunt Art Text: art criticism and discussion, issue 1 October 2005, Chicago 2005

Belinda Grace Gardner - Das Gesicht der Anonymität,
in: artnet Magazin 3.3.2005 www.artnet.de

Marcus Lütkemeyer - Gerold Tagwerker,
in: heute hier, morgen dort..., Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst, Münster 2004

Karin Wendt - Flash. Gerold Tagwerker, White Cube XIII,
in: Magazin für Theologie und Ästhetik 32/2004 www.theomag.de

Gabriele Spindler - Gerold Tagwerker,
in: hotel hotel, Landesgalerie am Landesmuseum Oberösterreich, Linz 2003; Bibliothek der Provinz, Weitra 2003

Kathryn Hixson - Crick in the Neck,
in: ...you sure about this place?, Sioux City Art Center, Sioux City und The Pond, Chicago 2003

Susanne Berchtold - Gerold Tagwerker,
in: REALE MALEREI, Kunstraum Dornbirn, Dornbirn 2002

Susanne Berchtold - Gerold Tagwerker,
in: zeichnungsARTen, zeichnungen vorarlberger künstler 1960-2001;
Amt der Vorarlberger Landesregierung, Bregenz 2001

Martin Hochleitner - Raum-Malerei, Gabriele Spindler - Vom Illusionsraum in den Realraum,
in: Raum-Malerei, Landesgalerie am Landesmuseum Oberösterreich, Linz 2001;
Bibliothek der Provinz, Weitra 2001

Friedrich Achleitner, Wolfgang Kos, Rainer Fuchs u.a. im Gespräch mit Gerold Tagwerker
- Recycling Minimalism?
in: Gerold Tagwerker - neunundneunzig, Galerie Grita Insam, Wien 2000

Franz Niegelhell - Panorama
in: Gerold Tagwerker - Panorama,
Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz 1997

Rainer Fuchs - Malerei als Konstruktion,
in: Gerold Tagwerker, Triton Verlag, Wien 1996

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